Der Film
Coraline ist mit ihren Eltern in den Pink Palace, ein altes, abgelegenes Haus gezogen. Während ihre Erzeuger mit dem Schreiben von Gärtnerei-Artikeln beschäftigt sind, obwohl sie selbst nie einen Spaten in die Hand nehmen würden, langweilt sich Coraline trotz der schrulligen Mitbewohner und dem schrägen Nachbarskind Wybe königlich - bis sie eine mysteriöse kleine Tür entdeckt, die sich aber zuerst als zugemauert herausstellt. Erst als Coraline Nachts von einer herumtapsenden Maus geweckt wird und ihr folgt, öffnet sich ein mysteriöser Tunnel, der in eine identische Parallelwelt führt, in der aber alles viel besser ist ... wenn nur ihre anderen Eltern nicht pechschwarze Knöpfe anstatt Augen hätten!
Stop-Motion ist eine der ältesten, vielleicht sogar die älteste Trickfilm-Technik der Filmgeschichte, kommt aber wegen des vergleichsweise viel höheren Aufwands nicht so oft zum Einsatz wie gezeichnete Animation. Gerade durch die rasante Entwicklung der computeranimierten Trickfilmtechnik in den letzten fünfzehn Jahren wurde Stop-Motion fast überflüssig, konnte sich aber durch das organische und natürliche Aussehen dennoch als völlig eigene Kunstform etablieren. Filmemacher wie Nick Park und Aardman Animation sorgten dafür, daß die Technik nicht ausstarb und 1993 sorgte ein ambitioniertes Projekt von Tim Burton für ein Revival des eigentlich totgesagten Genres: The Nightmare before Christmas stürmte 1993 die Kinos und wurde innerhalb weniger Jahre zu einem Kultfilm.
Ein Trickfilm-Veteran
Allerdings war es nicht Tim Burton selbst, der The Nightmare before Christmas inszeniert hatte, da er gerade zu sehr in die Produktion von Batman Returns eingebunden war. Regie führte stattdessen Henry Selick, der genauso wie Burton seine Karriere Anfang der achtziger Jahre als Zeichner bei Disney begonnen hatte. Es war sein Kinofilm-Debüt und dazu auch noch das erste große Stopmotion-Trickfilmprojekt eines amerikanischen Filmstudios - aber trotz der experimentellen Natur des Films wurde The Nightmare Before Christmas zu einem großen Erfolg. 1996 folgte Henry Selick mit einer viel gelobten Realfilm-Stopmotion-Kombination von Roald Dahls James and the Giant Peach und 2001 mit der Comic-Verfilmung Monkeybone, die allerdings ein Flop wurde und seiner Karriere einen Dämpfer verpaßte.
Nachdem Henry Selick 2004 für Wes Andersons The Aquatic Life with Steve Zissou für die Unterwasser-Szenen animierte Fische geschaffen hatte, schloß er sich dem amerikanischen Trickfilm-Studio Laika an, wo gerade Tim Burton mit Mike Johnson seinen neuen Stopmotion-Film Corpse Bride produzierte. Trotz der Verwandheit mit The Nightmare before Christmas hatte Henry Selick nichts mit Tim Burtons Film zu tun, inszenierte aber zu dieser Zeit Moongirl, den ersten computeranimierten Trickfilm des Studios. Aber der Regisseur wollte eigentlich wieder zu seinen Wurzeln zurückkehren und hatte ein ganz andere Idee zu den Laika-Studios mitgebracht.
Autor sucht Regisseur
Begonnen hatte Henry Selicks neues Projekt schon einige Jahre zuvor, als ihn der britisch-amerikanische Autor Neil Gaiman bat, einen Blick auf sein neues Buch zu werfen. Gaiman, der ursprünglich seine Karriere als Comicbuch-Autor begonnen hatte und besonders mit der 75-bändigen Sandman-Reihe bekannt geworden war, hatte sein erstes Buch Good Omens 1990 zusammen mit Fantasy-Satirist Terry Pratchett geschrieben und veröffentlichte danach zahlreiche weitere preisgekrönte Romane. 2002 schrieb Neil Gaiman mit Coraline erstmals eine Novelle für junge Leser und kam als Bewunderer von The Nightmare Before Christmas auf die Idee, Henry Selick die Fantasy-Gruselgeschichte schmackhaft zu machen. So landete eine noch nicht ganz fertige Version des Buchs noch vor der Veröffentlichung auf dem Schreibtisch des Regisseurs, der so davon begeistert war, daß er beschloß, einen Film aus Neil Gaimans Novelle zu machen.
Um das Projekt auf den Weg zu bringen, wandte sich der Regisseur als erstes an einen alten Bekannten, den Produzenten Bill Mechanic. In den neunziger Jahren war er Henry Selick bereits während seiner Zeit als Leiter von Disneys Videoabteilung begegnet und war später als CEO von 20th Century Fox zwischen 1996 und 2000 unter anderem für Selicks Monkeybone zuständig, sorgte aber auch dafür, daß das Studio mit Hilfe der CGI-Animationsspezialisten Blue Sky einen Einstieg in die hart umkämpfte Branche der computeranimierten Trickfilme bekam. Dadurch war Bill Mechanic in Sachen Trickfilm schon einschlägig vorbelastet, aber nach dem Weggang von Fox hatte er mit seiner neugegründeten Firma Pandemonium einen Vertrag mit Disney, der leider jede Art von Trickfilm ausschloß.
Der lange Weg zum Drehbuch
Henry Selick konnte Bill Mechanic und Neil Gaiman aber trotzdem überzeugen, ihn die Buchvorlage in ein Script umsetzen zu lassen, obwohl noch gar nicht sicher war, ob es ein Trick- oder Realfilm werden würde. Neil Gaiman hatte zwar mit Neverwhere auch schon Erfahrung als Drehbuchautor gesammelt, aber sein Vertrauen in Henry Selick war so groß, daß er die Umsetzung von Coraline ganz dem Regisseur selbst überließ. Nachdem die ersten Drafts noch viel zu nah an der Vorlage waren, gab Neil Gaiman ihm freie Hand und ermunterte ihn, auch größere Änderungen und Ergänzungen zu machen. Coraline war als Novelle einfach nicht lang genug für einen abendfüllenden Kinofilm, so daß an einer Erweiterung der Geschichte kein Weg vorbei ging.
Trotz der notwendigerweise recht umfangreichen Umbauarbeiten hielt sich Henry Selick im Prinzip sehr dicht an Neil Gaimans Vorlage und blieb vor allem dessen Stil treu. Gleichzeitig wurde der Plot deutlich ausgedehnt und mit kleinen und großen Details ergänzt, die erst durch die visuelle Inszenierung notwendig wurden. Besonders der Garten erhielt im Drehbuch eine viel größere Bedeutung und als zentrales Thema wurde Coralines mysteriöse Puppe eingeführt, die Teil eines neuen Subplots ist, der in der Buchvorlage nur angedeutet wird und die Motive und Methoden der Antagonisten deutlicher macht. Mit dazu gehörte auch die Einführung eines ganz neuen Charakters, dem Nachbarsjungen Wybie, der hauptsächlich hinzugefügt wurde, damit Coraline nicht nicht nur Selbstgespräche führen muß.
Die zwei Welten der Coraline Jones
Henry Selick war es gelungem eine Adaption der Novelle zu schaffen, die einerseits sehr vorlagengetreu blieb, aber gleichzeitig auch eine ganz eigenständige Inkarnation der Geschichte ist. Neil Gaimans Buch wird gerne als Horrorgeschichte für Kinder klassifiziert, aber die Filmumsetzung ist genausowenig für ganz junge Zuschauer geeignet wie The Nightmare before Christmas oder Corpse Bride. Obwohl die Protagonistin ein elfjähriges Mädchen ist, macht die Geschichte mehr den Eindruck, für Jugendliche und Erwachsene geschrieben worden zu sein. Parallelen zu Lewis Carrols Alice im Wunderland oder L. Frank Baums Wizard of Oz sind durchaus beabsichtigt, aber die Handlung ist dennoch eine originelle Variante einer oft erzählten Geschichte, die der Autor auf seine ganz eigene Art mit unheimlichen Elementen wie der barocken Märchenwelt der Gebrüder Grimm vermischt hatte.
In der Filmumsetzung kam dies noch viel deutlicher zum Ausdruck, aber Coraline ist weitaus mehr als nur ein konventionelles Gruselmärchen. Die Geschichte verzichtet völlig auf den sonst oft im Trickfilm-Genre erhobenen moralischen Zeigefinger und hält sich auch mit den Horror-Elementen relativ zurück. Dennoch ist die Atmosphäre überwiegend unheimlich und düster, aber durch Coralines selbstbewußtes Auftreten keineswegs pessimistisch oder abgrundtief gruselig. Es ist zwar keine durchgehende Gute-Laune-Geschichte, aber die Handlung wurde mit viel leisem und hintergründigem Humor ausgestattet, der ganz auf Neil Gaimans satirischer Linie liegt und auch schon in der Buchvorlage zu finden war.
Das Stopmotion-Revival
Nachdem Bill Mechanic seinen Vertrag mit Disney auslaufen lassen hatte, wuchsen die Chancen einer Stopmotion-Verfilmung von Coraline - zuvor hatte Henry Selick sogar schon mit einigen Schauspielern Gespräche über eine mögliche Realfilm-Umsetzung geführt, was aber später wieder zugunsten einer Trickfilm-Adaption verworfen wurde. Selick hatte seine Arbeit am CGI-Kurzfilms Moongirl für die Laika-Studios an die Bedingung geknüpft, später auch Coraline inszenieren zu können, aber zuerst waren die Studiochefs wegen der dunklen Stimmung des Geschichte skeptisch. Mit der Unterstützung von Animator Travis Knight, dem Sohn von Laika-Geldgeber und Nike-Gründer Phil Knight, gelang es dem Regisseur doch noch, das Projekt ins Rollen zu bringen.
Nach einigen weiteren Drehbuch-Entwürfen, mit denen auch Neil Gaiman immer zufriedener war, konnten Henry Selick und Bill Mechanic schließlich mit Universal Pictures auch einen Vertrieb finden, der vor dem ungewöhnlichen und kaum dem Hollywood-Mainstream entsprechenden Konzept nicht zurückschreckte - damit war eine der letzten Hürden bezwungen, die dem Beginn der Produktion noch im Weg standen. Vom ersten Kontakt zwischen Henry Selick und Neil Gaiman bis zum ersten grünen Licht waren schon etwa fünf Jahre vergangen, und es sollte noch einige Zeit dauern, bis der Film reif für die Kinoleinwände war, denn die eigentlichen Dreharbeiten dauerten noch weitere achtzehn Monate.
Handgemachte Kunst
Um sich von dem typischen Aussehen moderner Trickfilme völlig zu lösen, wandte sich Henry Selick an den japanischen Zeichner Tadahiro Uesugi, dessen besonderer 50er-Jahre-Retrostil eine willkommene Abwechslung zum Hollywood-Animation-Allerlei war. Der Künstler, der noch nie zuvor für die Filmbranche gearbeitet hatte, sollte ursprünglich nur einige Charaktere gestalten, aber seine Zeichnungen gefielen den Filmemachern so gut, daß er auf Basis der Novelle und des Drehbuchs fast ein Jahr lang die gesamte Szenerie von Coraline illustrierte. Der Regisseur hatte Uesugi dabei kaum Vorgaben gemacht und sich nur ein einzigartiges Design gewünscht - das Ergebnis waren zwei rustikale, altmodische, aber auch zeitlose Parallelwelten mit vielen Schnörkeln und Details, die eine ideale Vorlage für die handgemachten Kulissen eines Stopmotion-Film waren.
Spätestens seit Corpse Bride hatten sich die Laika-Studios als eins der führenden Stopmotion-Animationshäuser der Welt etablieren können. Das Filmteam bestand insgesamt aus über 350 Leuten, die nicht nur mit der Animation, sondern größtenteils mit der Konstruktion der Kulissen und Figuren beschäftigt waren. Laika war dadurch in Portland zu einem großen Arbeitgeber in der Filmbranche geworden und zog nicht nur Freelance-Trickfilmer an, sondern auch Mitarbeiter von ILM, Dreamworks, Disney, Pixar und sogar Aardman an, die ein Team von 35 Animatoren bildeten, die mit teils jahrzehntelanger Stopmotion aufwarten konnten. Henry Selick hatte für die Kameraarbeit außerdem wieder seinen alten Freund Peter Kozachik engagieren können, mit dem er bisher alle seine Filme inszeniert hatte und der zuvor schon bei Laika an Corpse Bride mitgearbeitet hatte.
Die traditionellen Animationsverfahren wurden mit modernen Techniken sinnvoll ergänzt, ohne die eigentliche Kunst des Stopmotion-Trickfilms zu vergessen: die Figuren mußten immer noch von einem Animator per Hand mindestens 12, oft auch 24 mal pro Sekunde bewegt werden, nur die Aufnahmetechnik hatte sich verändert. Corpse Bride war der erste Stopmotion-Trickfilm, der mit digitalen Spiegelreflex-Kameras anstatt auf analogem 35mm-Film gedreht wurde, aber mit Coraline ging Henry Selick noch einen Schritt weiter und entschied sich für eine 3D-Produktion, um mit den kommenden CGI-Trickfilmen von Pixar, Disney und Dreamworks konkurrieren zu können.
Alle guten Dinge sind drei
Die dreidimensionale Aufnahme war allerdings nicht so kompliziert, als daß dafür ein besonders großer Aufwand betrieben werden mußte - da im wesentlichen nur Standbilder aufgenommen wurden, kam nur eine Kamera auf einer computerbetriebenen Stativleiste zum Einsatz, die automatisch zwei Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln aufnahm, die in der Postproduktion zu einem dreidimensionalen Bild zusammengefügt wurden. Die 3D-Technik wurde aber nicht allzu aufdringlich eingesetzt und wurde zwar in einigen extra dafür gestalteten Sequenzen besonders effektiv verwendet, blieb aber sonst relativ unauffällig und konzentrierte sich hauptsächlich darauf, die Szenerie des Films auf eine realistische Weise räumlich darzustellen.
Obwohl Coraline in erster Linie als Stopmotion-Trickfilm gedreht wurde, kamen die Filmemacher nicht ganz ohne digitale Tricks aus. Computer wurden hauptsächlich dazu verwendet, um einzelne Stopmotion-Elemente miteinander zu kombinieren, denn es kam praktisch keine computergenerierte Animation zum Einsatz - sogar Nebel und Feuer wurden aufwendig per Hand gezeichnet und animiert. Eine sehr wichtige Aufgabe hatte die computergestützte Postproduktion aber trotzdem: im Gegensatz zu Corpse Bride wurden wieder Puppen mit austauschbaren Gesichtspartien ohne interne Mechaniken eingesetzt, die zwar den Charakteren eine besonders vielfältige Mimik gaben, aber auch deutliche Linien in den Gesichtern hinterließen, die später digital herausretuschiert wurden.
Auch die Produktionsdesigner kamen nicht ohne digitale Hilfe aus, denn ein großer Teil der Kulissen und sogar die Charaktere wurden zuerst als 3D-Modelle entworfen. Um den kostspieligen und langwierigen Weg der manuellen Konstruktion zu beschleunigen, wurden erstmals 3D-Drucker der Firma Objet eingesetzt, um Kulissen, Puppen und Requisiten anzufertigen. Zwar war immer noch jede Menge Handarbeit vom Stricken der Kleidung bis zur Bemalung der Szenerie gefragt, aber im Prinzip war Coraline damit ein computergenerierter Trickfilm mit einem zusätzlichen Zwischenschritt, der realen Konstruktion der 3D-Modelle. Ansehen tut man dies dem aber Film überhaupt nicht, denn genauso wie seine Vorgänger machen die Figuren und ihre Umgebung einen wundervoll organischen Eindruck - von aalglatter CGI-Animation ist das weit entfernt und hätte digital gerendert nie so realistisch aussehen können.
Eine ganz normale Familie
Im Gegensatz zu anderen Trickfilmen hat Coraline vergleichsweise wenige Charaktere zu bieten, wodurch auch nur eine überschaubare Anzahl von Schauspielern gecastet werden mußte. Dabei bewiesen die Filmemacher eine große Treffsicherheit, ohne dabei nur wahllos die bekanntesten Hollywoodstars ins Tonstudio zu holen.
Die Besetzung der Hauptrolle hätte schwierig werden können, aber Henry Selick hatte sich nicht auf eine einfache Lösung eingelassen und die elfjährige Coraline mit einer erwachsenen Schauspielerin gecastet. Stattdessen hatte der Regisseur mit Dakota Fanning schon sehr früh eine ideale Besetzung für die Hauptrolle gefunden, als sie gerade einmal zehn Jahre alt war. Mit der von Disney neu auf Englisch synchronisierten Fassung des Anime-Klassikers Tonari No Totoro hatte die Nachwuchs-Schauspielerin auch schon erste Voiceover-Erfahrungen gesammelt hatte und Henry Selick mit ihrer Natürlichkeit und Ungezwungenheit überzeugen können. Tatsächlich gelang es Dakota Fanning, ihren komplexen Charakter wie ein ganz normales, wenn auch richtig mutiges elfjähriges Mädchen zu sprechen, ohne dabei künstlich oder klischeehaft zu wirken - eine Seltenheit in der Animation-Voiceoverbranche, mit der die Filmemacher richtig Glück hatten.
Besonderes Fingerspitzengefühl war auch bei der Besetzung von Coralines Eltern gefragt, die sogar aus zwei Doppelrollen bestand, da die anderen Eltern aus der Parallelwelt eigentlich ganz eigenständige Charaktere sind. Die Filmemacher hatten jedoch darauf verzichtet, die Rollen doppelt zu besetzen und stattdessen zwei wandlungsfähige Sprecher gefunden, deren Auswahl sehr ungewöhnlich, aber auch erstaunlich gut passend ist. Coralines Mutter wurde von Ex-Bond-Girl (Tomorrow Never Dies) und Desperate Housewives-Star Teri Hatcher gesprochen, die zwar ihre Stimme noch nie einer Trickfilmfigur geliehen hatte, aber mit ihrer Rolle als typische Durchschnittsmutter und deren mysteriös-gruseliger Doppelgängerin viel Spaß hatte. Gerade bei der Transformation der honigsüßen, perfekten anderen Mutter zu einer verbitterten, insektenartigen Kreatur konnte Hatcher eine bemerkenswerte Vielseitigkeit beweisen.
Für Coralines Vater, der in beiden Inkarnationen ein deutlich passiver Charakter ist, hatten die Filmemacher eine noch erstaunlichere Wahl getroffen: Satiriker John Hodgman, der hauptsächlich durch seine Auftritte in der Daily Show als gelegentlicher Korrespondent bekannt geworden war. Mit seiner betont freundlichen, aber auch abgrundtief sarkastischen Art brachte er genau den richtigen Ton für den genervten und etwas tolpatschigen Familienvater mit. Hodgman hat aus der eigentlich recht undankbaren Rolle eine hintergründig humorvolle Figur gemacht, die im Gegensatz zu Coralines Mutter die Sympathien der Zuschauer ganz auf seiner Seite hat.
Nette Nachbarn
Mit einer ganz besonderen Auswahl von Sprechern des Films hatte Regisseur Henry Selick gar nichts zu tun, denn es war Neil Gaiman, der sich zwei bestimmte Leute für das alternde Varieté-Duo Miss Spink und Miss Forcible gewünscht hatte: Jennifer Saunders und Dawn French, die schon seit den achtziger Jahren als French & Saunders die britischen Fernsehbildschirme unsicher machen. Henry Selick waren als Amerikaner die beiden Schauspielerinnen gar nicht bekannt, aber Neil Gaiman hatte die Charaktere schon in der Novelle mit ihnen im Sinn geschrieben. Miss Spink & Forcible könnten fast Figuren aus Jennifer Saunders' und Dawn Frenchs Comedy-Show sein und genauso wirken sie auch: Karikaturen von zwei altgewordene Diven mit schrägen Angewohnheiten, die sich dauernd in den Haaren haben.
Auch die weiteren Nebenrollen sind äußerst gelungen besetzt worden. Keith David bringt der Katze mit seiner sonoren Stimme nicht nur das Sprechen, sondern auch das Schnurren bei, während Robert Bailey Jr. dem schrägen Nachbarsjungen Wybie genau den richtigen nervig-irritierenden Ton gibt - beide Rollen existieren allerdings nur in einfacher Ausführung, da Wybie und die Katze in jeweils nur einer der beiden Welten sprechen. Ian McShane spielt allerdings mit seinem wundervoll auf die Spitze getriebenen Auftritt als Mr. Bobinsky seine Kollegen beinahe an die Wand, denn er hat dem übergeschnappten russischen Akrobaten einen herrlich zackigen Akzent gegeben, der ihn zu einem der vergnüglichsten Charaktere des Films macht.
Unheimliche Melodien
Die musikalische Untermalung von Coraline hatte eine überraschende Wendung durchgemacht, denn ursprünglich war eine Zusammenarbeit mit der alternativen Rock-Band They Might Be Giants geplant, die Henry Selick schon für seinen Kurzfilm Moongirl engagiert hatte. Bandgründer John Flansburgh und John Linnellin hatten schon während der Preproduction-Phasezehn Songs geschrieben, aber die Filmemacher hatten sich dann von einer Musical-betonten Inszenierung zu einer düsteren und unheimlicheren Szenerie entschieden, in der die Kompositionen der Band leider ungeeignet waren. Linnellin und Flansburgh waren zwar verständlicherweise enttäuscht, daß die Zusammenarbeit mit Henry Selick nicht geklappt hatte, aber letztendlich hatte es doch noch ein kurzer Song bis in den fertigen Film geschafft.
Aber auch mit der Filmmusik hatte es sich Henry Selick nicht leicht gemacht und mit Danny Elfman die naheliegenste Auswahl getroffen. Tim Burtons Hauskomponist hatte zwar die einzigartigen Scores von The Nightmare Before Christmas und Corpse Bride geschrieben, aber der Regisseur war auf der Suche nach einem völlig anderen Stil. Dabeistieß er auf Bruno Coulais, einen vielbeschäftigten und hoch gelobten französischen Komponisten, der aber in den USA nur wenig bekannt war. Mit einem umfassenden Hintergrund in klassischer Musik und einem Faible für die menschliche Stimme als Instrument schrieb Coulais für Coraline eine bemerkenswerte Filmmusik, die einen völlig anderen Eindruck als der übliche Hollywood-Mainstream macht.
Die bestechend einfachen, volksliedartigen Melodien werden in einer charmanten Nonsens-Sprache von einem Kinderchor gesungen und von einem verspielten, von Saiteninstrumenten dominierten Orchesterarrangement begleitet. Diesen buchstäblich traumhaften Themen (das Titelstück wurde nicht umsonst Dreaming genannt) werden von einer Menge anderer Stücke ergänzt, die von unheimlichen, atmosphärischen Klangkulissen bis zu Tangos und sogar einer ausgewachsenen Variténummer - selbstironisch gesungen von Dawn French und Jennifer Saunders - reichen, die Bruno Coulais' Score zu einer der fasziniernsten und innovativsten Filmmusiken der letzten Zeit machen.
Ein handgemachter Erfolg
Nach The Nightmare before Christmas und Corpse Bride hat Coraline eindrucksvoll gezeigt, daß Stopmotion auch in Zeiten von komplett computeranimierten Trickfilmen immer noch Bestand hat und nicht kleinzukriegen ist. Henry Selick hatte es gemeinsam mit den Trickfilmern der Laika-Studios geschafft, Neil Gaimans Novelle auf beeindruckende Art auf die große Leinwand zu bringen, die dem Stopmotion-Genre alle Ehre macht und sich nicht vor den Vorgängern zu verstecken braucht. Coraline kann mit einer spannend erzählten Geschichte, der enorm detailreichen und verspielten Animation, den engagierten Schauspielern und einer ohrwurmverdächtigen Musik auf der ganzen Linie begeistern, ohne sich dabei der Hollywood-Standardkost unterzuordnen.
Henry Selick und die Laika-Studios haben mit diesem Film einen neuen Klassiker des Stopmotion-Genres geschaffen, der aber ein großes Risiko war: mit ungefähr 60 Millionen Dollar Produktionskosten war Coraline für einen Trickfilm nach heutigen Maßstäben relativ günstig, aber eine große Investition für ein neues Studio wie Laika. Die Rechnung ging aber auf und Coraline konnte nicht zuletzt durch den großen Vorteil der 3D-Fassung einen bemerkenswert guten Kinopremiere hinlegen. Schon am ersten Wochenende spielte der Film in den USA 16 Millionen Dollar ein und konnte ein weltweites Gesamtergebnis von 120 Millionen Dollar erreichen.
Gegenüber den Blockbustern der digital animierten Konkurrenz war dies verschwindend wenig, aber bei den Stopmotion-Filmen konnte sich Coraline an zweiter Stelle hinter der Aardman-Dreamworks-Coproduktion Chicken Run platzieren und sowohl The Nightmare before Christmas als auch Corpse Bride übertrumpfen. Der beachtlicher Erfolg hat Laika eine vielversprechende Zukunft ermöglicht und ein fast totgeglaubtes Genre zu einer neuen Nische ausgebaut, die sich mit Coraline erfolgreich im Mainstream etablieren konnte - eine Eintagsfliege wird dieser Film sicher nicht bleiben.
Die DVD
Coraline wurde in den USA bereits im Juli 2009, drei Wochen vor dem deutschen Kinostart, als DVD und Blu-Ray veröffentlicht. Diese Rezension beschäftigt sich ausschließlich mit der DVD, aber die Bemerkungen zur Bild- und Tonqualität und den Extras sind größtenteils auch für die Blu-Ray zutreffend. Universal hat mit dieser DVD ziemlich alles richtig gemacht und gegenüber der Blu-Ray nur die technisch schwer umzusetzenden Extras weggelassen. Dafür wurde nicht auf die 3D-Fassung verzichtet, die zwar aus technischen Gründen nicht so optimal wie im Kino aussehen kann, aber trotzdem ein gelungenes Extra ist.
Die 2-Disc-Edition besteht aus einer doppelseitigen DVD-18 mit den 2D- und 3D-Fassungen des Films sowie einer zweiten DVD mit den weiteren Extras, die trotz der relativ geringen Laufzeit den Aufpreis gegenüber der Single-Disc-Ausgabe wert sind. Mitgeliefert werden vier eingeschweißte Rot/Grün-3D-Brillen aus Pappe, die aber recht stabil sind und nicht schon nach der ersten Benutzung kaputtgehen. Die Verpackung besteht aus einem normalen Doppel-Keepcase, das aber immerhin in einem schicken Pappschuber mit Reliefzeichnung und Glanzeffekt steckt. Eine beispielhafte Veröffentlichung, an der es nichts ernsthaftes auszuseten gibt.
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