Der Film
Moist von Lipwig ist einer von vielen Gaunern, Betrügern und Fälschern auf der Discworld - und einer der Besten. Das rettet ihm den Hals, als er in Ankh-Morpork erwischt und aufgehängt wird - zu seinem Erstaunen hat Lipwig seinen nächsten Termin nicht bei dem gewissen Herrn mit der Sense, sondern bei Lord Vetiniari, den Patrizier von Ankh-Morpork. Der hat seine Talente erkannt und macht ihm ein Angebot, dem er nur mit einer Fortsetzung seiner Hinrichtung entgehen könnte: das heruntergekommene Postamt von Ankh-Morpork wieder auf die Beine zu stellen...
Terry Pratchetts Discworld befand sich schon immer in einer konstanten Evolution, denn besonders in seinen neueren Büchern hatte der Autor seine verspielte Fantasy-Welt immer weiter entwickelt und von einer mittelalterlichen Szenerie in eine viktorianische Epoche transformiert. Dazu gehörten in einer Reihe von Geschichten, die im Ballungszentrum Ankh-Morpork, der größten Stadt der Discworld spielen, eine industrielle Revolution, die neben einer florierenden Zeitungsbranche auch einen Telegraphenservice auf Basis von Signaltürmen umfaßt. Das Postamt der Stadt wurde jedoch schon in vorherigen Geschichten als völlig zusammengebrochen erwähnt, was Terry Pratchett 2005 als Anlaß für ein neues Buch nahm.
Ähnlich wie im 25. Discworld-Roman The Truth, der sich der Zeitungsbranche angenommen hatte, brachte Going Postal auch wieder einen völlig neuen Hauptcharakter mit - ein Ereignis, das in der Discworld-Reihe zuvor nicht allzu oft vorgekommen war und zwar durch eine vertraute Szenerie kein völliger Neustart war, aber frischen Wind in die Discworld brachte. Zudem war der Plote weit von klassischer Fantasy entfernt, denn statt Zauberern, Hexen und Magie ging es nun um so bodenständige und reale Dinge wie Signaltelegraphie, Post, Wettbewerb und Marketing - bis auf wenige Ausnahmen spielte es da keine Rolle, daß die Handlung in einer Welt spielt, die auf dem Rücken von vier gewaltigen Elefanten und einer noch gewaltigeren Schildkröte existiert.
Gerade wegen der Bodenständigkeit der Geschichte bot sich Going Postal als Material für eine dritten Discworld-Verfilmung von SkyOne und The Mob an, der Gruppe von Nachwuchs-Filmemachern, die bereits Hogfather und The Colour of Magic inszeniert hatten. Regisseur und Autor Vadim Jean hatte sich aber auf den Posten des ausführenden Produzenten zurückgezogen und Going Postal einem neuen Team überlassen, um sich anderen Projekten zu widmen. Going Postal entstand im Rahmen einer millionenschweren Investition, die Sky in die Produktion von Literaturverfilmungen gesteckt hatte, wodurch ein großzügiges, aber in der Höhe unbenanntes Budget zur Verfügung stand, das unter anderem auch für die Special-Effects benötigt wurde.
Für die Umsetzung von Terry Pratchetts Buchvorlage wurden Richard Kurti und Bev Doyle, besser bekannt Kurti & Doyle engagiert. Das Autoren-Duo hatte seine Karrie in der britischen Independent-Cinema-Szene begonnen und zwei Jahre lang einen Vertrag mit Miramax gehabt, aus dem aber keine Filme hervorgegangen waren. In der britischen Fernsehbranche hatten sie jedoch mehr Erfolg und steuerten Drehbücher für die Fernsehserien Robin Hood und Primeval bei, bevor sie für die BBC den Zweiteiler Sherlock Holmes and the Baker Street Irregulars geschrieben hatten. Es war wahrscheinlich dieses Gespür für die viktorianische Szenerie, die Mob Film dazu brachte, externe Drehbuchautoren in das Projekt einzubinden. Auch der Regisseur Jon Jones, der seit Ende der neunziger Jahre einige hochkarätige britische Fernsehproduktionen in Szene gesetzt hatte, wurde von außerhalb in das Team geholt.
Terry Pratchetts vielschichtiges und komplexes Buch hätte nie in vollem Umfang adaptiert werden können, es sei denn man hätte aus Going Postal eine mehrteilige Fernsehserie gemacht. Während sich Hogfather noch sehr eng an die Vorlage gehalten hatte, waren aufgrund der ungeeigneten Vorlage The Colour of Magic und The Light Fantastic stark umgeschrieben worden, aber bei Going Postal schien diese Gefahr wegen der relativen Geradlinigkeit der Story eigentlich nicht zu bestehen. Leider hatten Kurti & Doyle aber die Geschichte nicht einfach nur gestrafft und gekürzt, sondern auch in großen Teilen umgeschrieben und Charaktere verändert und vereinfacht. Das Ergebnis ist immer noch unverkennbar eine Discworld-Story von Terry Pratchett, aber mehr eine alternative Version von Going Postal als eine direkte Verfilmung.
Die Auslassungen sind aber durchaus verständlich, denn zum Beispiel die kleinen und größeren Subplots um einen Jahrtausende alten Golem, Mr. Groats seltsame Vorstellungen von Hygiene, die Postkatze, die Verstrickungen des Clacks-Konzerns und eine magische Postsortiermaschine hätten die Handlung nur unnötig aufgehalten. Merkwürdig war dagegen die Entscheidung der Filmemacher, einiges hinzuzudichten: so wurde die Liebesgeschichte zwischen Moist von Lipwig und Adorabelle Dearhart ganz untypisch für Terry Pratchett stark in den Vordergrund geschoben und unnötig dramatisiert und der Wettbewerb zwischen der Post und
Auch manche Charaktere sind nicht ganz stimmig - so ist Moist im Buch ein gewiefter Gauner, dem hauptsächlich das Betrügen Spaß macht und sich nicht so schnell aus der Fassung bringen läßt, während er in der Verfilmung viel geldgieriger und nervöser ist. Auch Reacher Gilt wurde als piratenhafter Bösewicht noch um einiges gefährlicher und brutaler gemacht, denn im Film schreckt er auch vor einem eigenhändigen Mord nicht zurück. Das Clacks-Imperium wurde von der Besetzung her auf nur drei Leute zusammengeschrumpft - Reacher Gilt, Crispin Horsefry, der von einem reichen Schnösel zum Buchmacher degradiert wurde und der Ingenieur Mr. Pony, der auch nur einen relativ kurzen Gastauftritt hat.
Während das sicherlich nicht schlechte, aber stark veränderte Drehbuch besonders für die Zuschauer, die Terry Pratchetts Vorlage gelesen haben, vielleicht etwas enttäuschend sein mag, ist die Besetzung umso besser gelungen und setzt nicht unbedingt auf große Starpower, sondern auf mit großem Fingerspitzengefühl ausgesuchte Schauspieler.
Für die Hauptrolle des Gentleman-Gauners Moist von Lipwig konnten die Filmemacher den britischen Schauspieler Richard Coyle gewinnen, der so beschäftigt war, daß er Going Postal beinahe nicht in seinem Terminkalender unterbringen konnte. Zuvor hatte ereine Nebenrolle im Hollywood-Blockbuster Prince of Persia gespielt, sich aber auch einen Namen im britischen Fernsehen mit der Sitcom Coupling und der Mystery-Serie Strange gemacht. In den letzten Jahren hatte es Richard Coyle allerdings mehr nach Hollywood gezogen, so daß die Rückkehr ins britische Fernsehen umso erstaunlicher ist. Abgesehen von den Drehbuch-bedingen Änderungen spielt der Schauspieler seinen Charakter bemerkenswert originalgetreu und war die ideale Besetzung für den charmanten und gewitzten Gauner mit Showmanship.
Für die weibliche Hauptrolle, die gegenüber der Buchvorlage etwas mehr ausgebaut wurde, konnte die klassisch ausgebildete Bühnenschauspielerin Claire Foy gefunden werden, die zuvor mit einer großen Ausnahme kaum vor der Kamera gestanden hatte: durch ihre Hauptrolle in der BBC-Miniseren-Verfilmung von Charles Dickens' Little Dorrit waren die Filmemacher auf sie aufmerksam geworden und hatten sie für die Rolle von Adorabelle Dearhart, der Golem-Organisatorin mit Clacks-Vergangenheit begeistern können. Mit Little Dorrit hatte die junge Schauspielerin schon Erfahrung mit viktorianischen Szenarien und starken weiblichen Charakteren und war damit ideal für ihre Rolle in Going Postal. Zwar ist Clare Foys Charakter deutlich dramatischer und emotionaler und nicht ganz so kühl und berechnend wie im Buch angelegt, aber die Schauspielerin macht trotzdem das beste aus ihrem Auftritt und ist eine bemerkenswert gut passende Gegenspielerin für Richard Coyle.
Die Besetzung der Postbeamten war auch bemerkenswert gut gelungen, denn zum Glück war The Mob nicht noch einmal der Versuchung erlegen, David Jason zu engagieren und ihm die Rolle des Junior Postmaster Groat zu geben, die stattdessen an Andrew Sachs ging. Der Schauspieler ist heute hauptsächlich wegen seiner Nebenrolle in John Cleeses Sitcom Fawlty Towers als spanischer Kellner Manuel bekannt, war aber seitdem auch als vielseitiger Charakter-Darsteller besonders aktiv und hatte zuletzt in der legendären ITV-Seifenoper Coronation Street eine Gastrolle gespielt. In Going Postal kehrte er zu seinem komödiantischen Wurzeln zurück und konnte trotz der Kürzungen im Drehbuch den schrulligen Postboten auf wundervolle Art fast genauso darstellen, wie er ursprünglich von Terry Pratchett im Buch beschrieben wurde. An Sachs' Seite stand der schon mit einigen Kino- und Fernsehrollen sehr erfahrene Theaterschauspieler Ian Bonar als Nachwuchs-Postbote Stanley, der seine fast komplett intakt gebliebene Rolle mit genau der richtigen Verrücktheit spielte.
Ebenfalls sehr gelungen besetzt wurde Reacher Gilt, der piratenhafte Antagonist der Geschichte, dessen Rolle gegenüber der Buchvorlage mehr ausgebaut wurde und als Gegenspieler von Moist von Lipwig eine viel fiesere Art von Gauner ist. Für ihn hatten die Filmemacher den englischen Schauspieler David Suchet gewinnen können, der sich in einer Jahrzehnte langen Karriere hauptsächlich mit der definitiven Darstellung von Agatha Christies Meisterdetektiv Hercule Poirot einen Namen gemacht hatte und für Going Postal schon fast überqualifiziert war. Dennoch hat der Schauspieler sichtlichen Spaß an seiner Rolle und spielt Reacher Gilt genüßlich als beinahe schizophrenen Psychopathen, der von schleimigem Geschäftsmann bis zu wahnsinnigem Mörder reicht. An Suchets Seite steht der indisch-britische Schauspieler Madhav Sharma als Gilts ängstlicher Manager und Buchhalter Crispin Horsefry, dessen Charakter allerdings praktisch gar nichts mit der Buchvorlage zu tun hat.
Ein weiterer Stolperstein bei der Besetzung war Lord Vetinari, der Patrizier von Ankh-Morpork - eine Figur des Discworld-Kanons, von der die Fans ganz besondere Vorstellungen hatten. In der Verfilmung von The Colour of Magic hatte Jeremy Irons den Patrizier in einer kleinen Gastrolle gespielt, wobei es nicht ganz klar war, ob es sich auch wirklich um Vetinari und nicht einen seiner Vorgänger handeln sollte. Für Lord Vetinari hatten die Filmemacher eine erstaunliche Auswahl getroffen, die auf den ersten Blick ganz daneben zu sein scheint, sich aber im Film als ideal herausstellt: der britische Charakter-Darsteller Charles Dance hat zwar die völlig falsche Haarfarbe, schafft es aber Vetinari in seinen nicht allzuvielen Szenen so eindringlich zu spielen, daß er Terry Pratchetts Vorlage mehr als gerecht werden kann. Sein ebenfalls in den Büchern oft auftretender Assistent Drumknott wird mit einer fiesen Freundlichkeit von Steve Pemberton, einem Mitglied der Komikertruppe The League of Gentlemen, genauso perfekt dargestellt.
Auch die weiteren Nebenrollen können mit einer rundum gelungenen Besetzung aufwarten. Der Golem Mr. Pump wurde von zwei Darstellern gespielt: im Kostüm steckte der niederländische Akrobat Marnix van der Broeke, der in den vorherigen beiden Discworld-Verfilmungen im Kostüm von Tod steckte und hier den Golem auf genau die gleiche fantastische Weise zum Leben erweckt hat, während die sonore Stimme von Schauspieler Nicholas Farrell kam. Erzkanzler Ridcully hat nur einen kleinen Auftritt, für den sein vorheriger Darsteller Josh Ackland leider nicht engagiert werden konnte, aber von Timothy West ganz hervorragend vertreten wird. John Henshaw ist als Clacks-Ingenieur Mr. Pony leider nur viel zu kurz zu sehen und auch von Jimmy Yuill als Drucker Mr. Spools wünscht man sich einen längeren Auftritt. Auch nur kurz dabei ist Tasmin Greig als Reporterin Miss Cripslock, ein Charakter, der eigentlich aus The Truth stammt und vielleicht ein Indikator für eine zukünftige Verfilmung ist.
Während Going Postal inhaltlich nicht ganz der Buchvorlage entsprechen mag, ist die visuelle Umsetzung jedoch fantastisch gut gelungen. Die Dreharbeiten fanden ausschließlich On Location in Budapest statt - nicht unbedingt, weil die Produktion dort billiger machbar gewesen wäre, sondern hauptsächlich um die historischen Stadtteile der ungarischen Hauptstadt als Szenerie für Ankh-Morpork nutzen zu können. Dadurch konnte die besondere Atmosphäre einer mittelalterlichen Stadt erreicht werden, die sich mitten in einer industriellen Revolution befindet und am besten mit dem London des 19. Jahrhunderts vergleichbar ist. Da die Handlung von Going Postal viel mehr als in den drei anderen Discworld-Realverfilmungen in Ankh-Morpork spielt, war die Entscheidung, die Dreharbeiten nach Budapest zu verlegen, genau die richtige und hat eine völlig realistische und natürliche Szenerie ermöglicht.
Natürlich konnte nicht alles ausschließlich mit den Dreharbeiten in Ungarn realisiert werden, denn um Budapest vollends zu Ankh-Morpork werden zu lassen, waren umfangreiche Special-Effects aller Art notwendig. Bemerkenswert gelungen war die Darstellung der Clacks-Türme, die aus einer Mischung von CGI-Effekten, Modellen und lebensgroßen Kulissen bestand. Zwar wurden die Signaltürme gegenüber der Buchvorlage, wo sie eine Mischung aus Paddel- und Lichtsignalen sind, etwas modernisiert, treffen aber als clever durchdachte und sehr realistisch umgesetztes System trotzdem den Kern der Sache ganz ausgezeichnet. Verblüffend einfach, aber effektiv wurde das Problem der Golems gelöst: eine CGI-Animation wäre zu aufwendig gewesen, aber die Filmemacher hatten eine ungarische Firma gefunden, die Golem-Kostüme herstellen konnte, die realistisch aussahen und nicht ganz, aber fast Terry Pratchetts Beschreibungen entsprachen.
Für die musikalische Untermalung hatten sich die Filmemacher nicht wieder an David A. Hughes gewandt, der zuvor die Scores von Hogfather und The Colour of Magic geschrieben hatte, sondern an den vielbeschäftigten Komponisten John Lunn, der bisher an über sechzig vorwiegend englischen Fernsehserien und Kinofilmen mitgearbeitet hatte. Was vielleicht eine 08/15-Fließbandscore hätte werden können, wurde erstaunlicherweise zu einer äußerst gut gelungenen und hervorragend passenden Filmmusik. Besonders das Titelthema kann mit einer ohrwurmverdächtigen Melodie aufwarten, die an Henry Mancinis Werke erinnert und mit einem Rhythmus begleitet wird, der Ähnlichkeiten mit Danny Elfmans frühen Scores hat. Auch die weitere Hintergrundmusik ist sehr melodiös, verspielt und manchmal auch etwas kitschig und dramatisch, paßt aber hervorragend zur Handlung.
Going Postal mag wegen der Abweichungen zur Vorlage etwas enttäuschend sein, aber die hervorragenden Schauspieler, die fantastische visuelle Umsetzung und die originalgetreue Atmosphäre machen den Film doch zu einer durchaus gelungenen Verfilmung. Es ist mehr eine Variante der Geschichte als eine komplette Umsetzung, die im Rahmen eines dreistündigen Films kaum möglich gewesen wäre. Trotz der Freiheiten, die sich die Filmemacher genommen haben, kann man Terry Pratchetts Kommentar "It's like someone going into your own head and filming the content" durchaus zustimmen.
Die DVD
Nach der britischen Fernsehausstrahlung beim Pay-TV-Sender SkyOne Ende Mai 2010 wurde Going Postal schon drei Monate später im August des Jahres in England als DVD und Blu-Ray veröffentlicht. Während beim Vorgänger The Colour of Magic bei der DVD ärgerlicherweise einige Extras der Blu-Ray fehlten, ist diesmal bei Going Postal alles bis auf den visuellen Teil des Audiokommentars dabei. Von der Blu-Ray gibt es nur eine Ausgabe, aber die DVD gibt es als Single-Disc und 2-Disc Limited Edition, die alleine schon wegen der zusätzlichen Extras einen kleinen Aufpreis wert ist.
Die hier rezensierte DVD ist natürlich die britische 2-DVD Limited Edition, die rundum überzeugen kann. Die Erstauflage wurde zwar nicht in einem Digipack, aber immerhin in einem durchsichtigen Keepcase mit gelungen gestaltetem Pappschuber ausgeliefert und enthielt als kleine Zugabe auch noch eine Sammlerausgabe von vier exklusiven Discworld-Briefmarken, die vom Discworld Emporium gedruckt wurden.
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