Der Film
Der expressionistische Stummfilm im Deutschland der zwanziger Jahre hatte viele bemerkenswerte Filme hervorgebracht, unter denen die Werke von Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang besonders auffielen und die Grenzen des Filmmediums erforschten. Ein Film war seiner Zeit besonders weit voraus: Fritz Langs Metropolis, die als einer der ersten Werke eines Genres in die Filmgeschichte einging, das später Science-Fiction genannt wurde. Die vielschichtige Kombination aus beißender Gesellschaftskritik, traditionellem Drama und düsterer Zukunftsvision erwies sich als zu anspruchsvoll und komplex für das deutsche Kinopublikum. Metropolis wurde zu einem Reinfall an den Kinokassen und bedeutete für das Filmstudio, die UFA, aufgrund der immensen Produktionskosten beinahe den Bankrott.
Mehr als achtzig Jahre nach seiner Entstehung konnte sich Metropolis schon längst wieder rehabilitieren, aber so wie bei der Premiere im Jahr 1927 war Fritz Langs außergewöhnlichster Film nie wieder zu sehen. Die Verstümmelung begann schon vor der deutschen Premiere im Januar 1927, als Metropolis im Rahmen einer finanziellen Kooperation zwischen Paramount, UFA und Metro-Goldwyn-Mayer, genannt Parufamet, in die USA verkauft und dort von dem Bühnenautor Channing Pollock um ein Viertel der Laufzeit gekürzt und umgeschnitten wurde. Dafür wurde keine Kopie, sondern eins von den drei parallel gedrehten Kameranegativen verwendet, das bei der Bearbeitung unwiederbringlich zerstört wurde. Noch 1927 wurden ähnliche Änderungen an den zwei in Deutschland verbliebenen Negativen gemacht, wonach Metropolis nur noch in Fassungen zu sehen war, die etwa ein Viertel kürzer als Fritz Langs Premierenversion war. 1936 ließ das amerikanische Museum of Modern Art eine Kopie von Metropolis machen, die von dem gekürzten Negativ erstellt wurde, sich aber später als besonders wertvoll bei den Restaurationen erweisen sollte.
Die ersten Versuche, die Urfassung von Metropolis wieder herzustellen, wurden erst Anfang der sechziger Jahre in der Sowjetunion unternommen. In einem Moskauer Filmarchiv lagerten fünf Rollen des Films, die ursprünglich nach dem zweiten Weltkrieg als Kriegsbeute aus Babelsberg in die UDSSR gelangt waren und von den russischen Filmhistorikern mit einer zweiten Kopie, die in einem tschechischen Filmarchiv gefunden wurde, komplettiert werden konnte. 1971 wurde diese Rekonstruktion im Rahmen eines Austauschprogramms an das Filmarchiv der DDR übergeben, das noch mehr Material aus der ganzen Welt zusammentrug und sich auch an Fritz Lang wandte, um die Szenenreihenfolge zu klären und herauszufinden, welches Material noch fehlte. Erstmals wurde dabei entdeckt, daß es nicht nur eine Fassung, sondern drei parallel gedrehte Negative gab, die meist andere Kamerawinkel hatten, aber auch manchmal aus verschiedenen, nacheinander gedrehten Takes bestanden.
Die 1972 fertiggestellte Version wurde auf einem Filmarchiv-Kongreß in Bukarest gezeigt, erregte damals aber noch keine große Aufmerksamkeit. Über ein Jahrzehnt lang tat sich danach kaum etwas in Sachen Metropolis, aber 1983 wurden im Schwedischen Filminstitut in Stockholm die kompletten Zensurkarten der Urfassung gefunden, die die gesamten Texte der Zwischentitel in ursprünglicher Reihenfolge enthielten und so wichtige Aufschlüsse über den Originalschnitt brachten, da auch das Drehbuch verschollen war. 1984 machte der Musiker Giorgio Moroder Schlagzeilen, als er Metropolis einer radikalen Veränderung unterzog und den Film mit modernen Popsongs unterlegte, einfärbte und zu einer nur 87 Minuten langen Version zusammenschnitt. Während dies zwar die Popularität des Films enorm erhöhte, konnte man von einer Restauration kaum sprechen, denn die Moroder-Fassung war noch weiter als die gekürzte US-Version vom Original entfernt.
Ein neuer, noch viel umfassender Versuch einer Restauration von Metropolis nahm Mitte der achtziger der Filmhistoriker und damalige Leiter des Filmmuseum München, Enno Patalas in Angriff. Mit Hilfe des inzwischen wiedergefundenen Drehbuchs, Teilen der Filmmusik-Partitur und der Kopie des Museum of Modern Art, die inzwischen in den Besitz des Münchener Filmmuseums gelangt war, wurde erstmals eine systematische Rekonstruktion des Films versucht. Mit weiteren Kopiefragmenten und einer Wiederherstellung der ursprünglichen Zwischentitel war es die bisher umfangreichste Restauration des Films, die aber die qualitativen Mängel durch eine photochemische Überarbeitung noch nicht völlig beseitigen konnte. Trotzdem war es nach der Fertigstellung 1988 die bisher längste Fassung von Metropolis, die innerhalb des nächsten Jahrzehnts zu einer regelrechten Neuentdeckung des Films führte.
Ende der neunziger Jahre wurde aber noch ein weiterer Restaurationsversuch in die Wege geleitet, für das ein im Bundesfilmarchiv gelagertes Kameranegativ als Basis verwendet wurde. Dabei handelte es sich um das Negativ der irgendwann an die UFA zurückgegebenen Paramount-Version, die zwar stark gekürzt war, aber das bisher qualitativ beste zur Verfügung stehende Material des Films enthielt. Auch wurde vermutet, daß es sich um die von Fritz Lang bevorzugte Version handelte, denn offenbar war die für die vorherige Restauration verwendete Kopie des Museum of Modern Art von einem Negativ zweiter Wahl erstellt worden. Die neue Restauration wurde von Martin Koerber von der Deutschen Kinemathek in Kooperation mit der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung realisiert. Als Basis diente die immense Arbeit von Enno Patalas, der schon zuvor die größten Rätsel um die Struktur des Films gelöst hatte, aber nun konnten zum ersten Mal die allerbesten Quellen für eine Restauration genutzt werden.
Nachdem sich ein erster Versuch einer Rekonstruktion als qualitativ nicht ideal erwiesen hatte, schlug das Bundesfilmarchiv eine digitale Restauration vor, mit der die Münchener Firma Alpha-Omega beauftragt wurde. Das Kameranegativ und mehrere andere Positiv-Kopien und Dupe-Negative wurden in 2K-Auflösung digital gescannt, was aufgrund des stark gealterten Filmmaterials nicht immer unproblematisch war und oft Bild für Bild gemacht werden mußte. Das nun digitalisierte Material wurde von Martin Koerber und seinem Team in mühevoller Kleinarbeit gesichtet und mit dem Drehbuch, den Zensurkarten und der Partitur der Filmmusik in die richtige Reihenfolge gebracht. Die ursprünglichen Zwischentitel wurden digital in der Originalschriftart wiederhergestellt und fehlende Szenen wurden erstmals nicht einfach weggelassen, sondern mit Texttafeln beschrieben und teilweise mit Standfotos bebildert.
In einer dreistufigen Restauration wurden zuerst mit automatischen Methoden die vielen oberflächlichen Kratzer, Laufstreifen und anderen leichten Verschmutzungen entfernt und dann der Bildstand stabilisiert. Zum Schluß wurden alle Beeinträchtigungen des Filmmaterials, die nicht automatisch entfernt werden konnten, per Hand retuschiert. Unerwartete Probleme gab es mit mehreren effekt-intensiven Schlüsselszenen, die im Negativ extrem zerstört waren, aber zum Glück noch in Form von separaten Filmelementen existierten. Diese wurden einzeln abgetastet und digital zusammengefügt, wodurch diese Szenen in einer noch nie zuvor dagewesenen Qualität gezeigt werden konnten. Letztendlich konnte auch das Aussehen der verschiedenen Filmquellen aneinander angeglichen werden, was einer der wichtigsten Gründe für die Abkehr von photochemischen Methoden war.
Die Dauer der extrem arbeitsintensive Restauration wurde etwas unterschätzt, wodurch der anvisierte Premierentermin auf die Berlinale 2001 nicht ganz eingehalten werden konnte. Als am 15. Februar 2001 die neue Restauration dort gezeigt wurde, war der letzte Akt noch nicht fertig und kam von einer direkten Umkopierung des noch unrestaurierten Negativs, wodurch aber der Erfolg der Überarbeitung erst richtig deutlich wurde. Im März des Jahres konnte die Bildrestauration abgeschlossen werden, aber ganz fertig war die Rekonstruktion noch nicht. Auf der Berlinale wurde Metropolis noch mit einer von Bernd Schultheis neu komponierten Musik vorgeführt, da die komplette Original-Partitur der Musik von Gottfried Huppertz noch nicht gefunden worden war. Zwischen Ende 2001 und Anfang 2002 ging die so restaurierte Fassung auf eine Tour durch amerikanische und europäische Programmkinos und erregte so eine Menge Aufmerksamkeit.
Zum 75. Jubiläum im Jahr 2002 konnte aber ein weiterer Schritt in der Restauration gemacht werden. Im Sommer des Jahres hatte der deutsch-französische Kultursender arte noch die Fassung mit der Musik von Bernd Schultheis ausgestrahlt, aber schon ein Jahr zuvor war die vollständige Partitur von Gottfried Huppertz wiedergefunden worden, in der erstaunliches über die Abspielgeschwindigkeit entdeckt wurde. Bisher war man davon ausgegangen, daß die Projektion Metropolis für eine Stummfilm-typische Geschwindigkeit von 20 Bildern pro Sekunde ausgelegt war, aber auf den Partituren der Filmmusik fanden sich nun Hinweise, daß der Film mit 26 bis 28 Bildern pro Sekunde gespielt werden sollte. Unter Filmkennern rief diese kontroverse Theorie eine große Diskussion hervor, die sich hauptsächlich darauf gründete, daß der Film bei solchen Geschwindigkeiten viel zu hektisch wirken würde.
Es wurde vermutet, daß in Hinblick auf eine kommende DVD-Veröffentlichung, die niedrigere Frameraten schwierig machen würde, ein Grund für eine Geschwindigkeit von ca. 25 Bildern pro Sekunde gesucht wurde. Die beteiligten Filmhistoriker wiesen aber zurecht auf die nicht zu widerlegenden Hinweise in der Filmmusik-Partitur, die aber möglicherweise auch 1926/1927 auf Druck der UFA entstanden waren, um die als viel zu lang angesehene Laufzeit zu drücken. Dennoch wurde die Originalmusik schon im Herbst 2001 unter der Leitung von Berndt Heller neu eingespielt, aber die Veröffentlichung dieser Aufnahme ließ aus unbekannten Gründen noch einige Zeit auf sich warten.
Im Frühjahr 2003 wurde Metropolis in der komplett restaurierten Fassung mit der Originalmusik von Gottfried Huppertz weltweit als DVD veröffentlicht und galt seitdem als die ultimative Ausgabe des Films, die alles noch zu findende Material enthielt. Von der ursprünglichen Premierenfassung fehlte immer noch ein gutes Viertel, aber noch nie zuvor war Metropolis so komplettiert worden und in einer so guten Bildqualität zu sehen. 2005 erstellte Enno Palatas auf Basis dieser Version eine Studienfassung, die die fehlenden Szenen nicht nur als Texttafeln, sondern in Form von Schwarzfilm mit genaueren Textbeschreibungen und Fotos in ungefährer Länge der Sequenzen enthielt und nicht von einer orchestralen Einspielung, sondern einer Klavierfassung der komplette Filmmusik begleitet wurde. Diese Version war jedoch nicht für den allgemeinen Verkauf bestimmt, sondern wurde nur über Bildungsträger verbreitet und mehr ein Experiment, um der Urfassung noch näher zu kommen.
Niemand hatte zu diesem Zeitpunkt mehr damit gerechnet, daß das verlorene Material von Metropolis jemals wiedergefunden wird. Aber im Sommer 2008 ereignete sich das Unmögliche: die Wochenzeitschrift Die Zeit berichtete in der Juni-Ausgabe vom Fund einer kompletten Premierenversion des Film in einem argentinischen Filmarchiv. Es handelte sich nur um eine schrecklich verkratzte 16mm-Kopie, die aber Szenen enthielt, die seit der Berliner Premiere als verschollen galten. Die Entdeckerin, Paula Felix-Didier vom Museo del Cine in Buenos Aires, wurde zuerst von der Murnau-Stiftung gar nicht ernst genommen, denn nach viel zu vielen Fehlalarmen war man dort an einer miesen 16mm-Kopie erst gar nicht interessiert.
Auf die Idee, daß in den Archiven des Museo del Cine möglicherweise eine komplette Version von Metropolis schlummern könnte, war mehr als zwanzig Jahre zuvor Ferdonando Pena gekommen. Der Filmenthusiast hatte von einem Filmclub-Leiter gehört, daß er schon wieder über zweieinhalb Stunden lang Metropolis vorführen und mit dem Daumen auf den Film drücken mußte, damit er nicht herausspringt. Die damals bekannten Fassungen von Metropolis waren jedoch kaum 100 Minuten lang, aber ihm blieb der Zugang zum Filmarchiv verwehrt. Im Januar 2008 wurde schließlich seine Ex-Frau Paula Felix-Didier die Leiterin des Museo del Cine und eine ihrer ersten Amtshandlungen war, gemeinsam mit ihrem Ex-Mann die im Archiv des Museums gelagerte Metropolis-Kopie zu suchen.
Genau wie sie seit zwanzig Jahren vermutet hatten, waren tatsächlich die verschollenen Szenen in der Kopie enthalten. Um ihre Entdeckung zu bestätigen, wandten sie sich an den spanischen Stummfilm-Experten Luciano Berriatua, der aus dem Staunen nicht herauskam. Felix-Didier wandte sich per Email an die Murnau-Stiftung, die aber abwinkte und nichts von einer schlechten 16mm-Kopie wissen wollte, aber eine weitere Email von Berriatua brachte schließlich Metropolis-Restaurateur Martin Koerber dazu, in Argentinien anzurufen. Als Vermittlerin trat auch die in Buenos Aires lebende Journalistin Karen Naundorf auf, die dafür sorgte, daß Paula Felix-Didier im Juni 2008 mit einer DVD der gefundenen Metropolis-Fassung nach Berlin kam, um das Material den Experten der Murnau-Stiftung vorzuführen.
Die Filmrestauratoren Martin Koerber und Anke Wilkening sowie der Direktor der Deutschen Kinemathek Rainer Rother waren dabei, als das gefundene argentinische Material im Filmhaus am Potsdamer Platz in einem kleinen Vorführraum gezeigt wurde. Die Experten brachen nicht in Jubelstürme aus, waren aber sichtlich beeindruckt, als sie zum ersten Mal die verlorenen Szenen sahen. Unglücklich war man nur über den katastrophalen Zustand des Materials, aber noch an Ort und Stelle wurde entschieden, daß sich die Murnau-Stiftung um eine Restauration und Rekonstruktion der wiedergefundenen Szenen kümmern wird. Bald wurde angekündigt, daß die Restauration bis zur Berlinale 2010 abgeschlossen werden soll, aber da sich die Original-16mm-Kopie im argentinischen Staatsbesitz befand und auch private Sammler interessiert waren, benötigte es mehr als ein Jahr und intensive Verhandlungen mit dem argentinischen Kultusministerium, um die Filmrollen nach Deutschland zu holen. Eine Woche nach dem Treffen berichtete die Zeit über das gefundene Material - die Nachricht ging um die ganze Welt.
Die Herkunft der argentinischen Kopie von Metropolis hätte nicht abenteuerlicher sein können. Noch bevor die UFA 1927 Metropolis in Grund und Boden gekürzt hatte, kaufte Adolfo Z. Wilson, Chef des argentinischen Terra-Verleihs die Vorführrechte für sein Land und bekam eine Kopie der Premierenfassung. Nach der Kinoauswertung wurde die Kopie nicht vernichtet, sondern ging in den Bestand eines privaten Sammlers, der seine Filme in den sechziger Jahren an den nationalen Kunstfonds verkaufte. Leider war Metropolis einer der Filme, deren enorm feuergefährliches 35mm-Nitro-Filmmaterial vernichtet wurde, weil die Lagerkosten zu hoch waren. Vorher wurde alles auf nicht-brennbaren Safety-Film umkopiert, aber auch wieder aus Geldmangel mit einfachsten Mitteln nur auf 16mm. Dabei wurden sämtliche Unzulänglichkeiten des ohnehin schon stark mitgenommenen Filmmaterials einfach mitkopiert - das war alles, was von der Metropolis-Urfassung noch übriggeblieben war, aber es war besser als nichts.
Als das 16mm-Filmmaterial schließlich in Deutschland eintraf, war gerade noch ein halbes Jahr bis zur Berlinale-Premiere im Februar Zeit. Martin Koerber und Anke Wilkening hatten schon anhand der DVD, die ihnen Paula Felix-Didier überlassen hatte, eine vorläufige Schnittliste für die Reintegrierung der neuen Szenen erstellen können und dabei viel Unterstützung von Frank Strobel bekommen. Der Dirigent hatte die Bearbeitung der Musik übernommen und anhand der Notizen und Timing-Angaben der Huppertz-Partitur viele wertvolle Hinweise auf die genauen Positionen der neu gefundenen Szenen in der vorherigen Restauration geben können.
Die neue Schnittfassung wurde auf Basis der Studienfassung von 2005 erstellt,
mit der die Filmmusik detailgenau auf die neue Schnittfassung angepaßt werden konnte.
Mit der Bearbeitung der neu gefundenen Szenen wurde wieder die Münchener Firma Alpha-Omega beauftragt, die schon 2001 mit der vorherigen Restauration Erfahrung mit Metropolis gesammelt hatten. Die etwa 30 Minuten Material der 16mm-Fassung waren nicht nur stark physikalisch verkratzt, sondern besaßen auch jede Menge an einkopierten Beeinträchtigungen, die sich nicht mit einer photochemischen Restauration hätten beseitigen lassen. Restaurator Thomas Bakels hatte speziell für diesen schwierigen Fall eine neue Software entwickelt, die mit einer besonderen Methode die schweren Laufschrammen und andere Beschädigungen zwar nicht völlig entfernen, aber zumindest stark abschwächen konnte und so das Bild unter den massiven Beschädigungen wieder sichtbar machen konnte. Auch der extrem instabile Bildstand konnte mit automatischen Werkzeugen wieder beruhigt werden.
Trotz der Restaurationsbemühungen war aber von vorneherein klar, das das 16mm-Material nicht einmal ansatzweise an die dagegen hervorragende Qualität der Restauration von 2001 heranreichen konnte. Da die bisher verschollenen Sequenzen in keiner anderen Form überlebt hatten, blieb aber nichts anderes übrig, als mit dem vorhandenen Material zu arbeiten. Leider war durch die primitive Kopiermethode auch ein Teil des Filmbilds unwiederbringlich abgeschnitten worden. Um die Größe des Filmbilds einheitlich zu halten, wurden die 16mm-Sequenzen mit einer schwarzen Kaschierung am rechten und oberen Bildrand in das digitale Master der vorhandenen Restauration eingesetzt. Kurz vor Beginn der Restaurationsarbeiten erhielt die Murnau-Stiftung außerdem noch eine gut erhaltene Nitrat-Kopie, die im wesentlichen zwar identisch mit dem schon vorhandenen Material war, aber einige Szenen in etwas längeren Versionen enthielt, die nun auch in die Restauration integriert wurden.
Es wurden alle wichtigen fehlenden Szenen wiederhergestellt, nur zwei kurze Sequenzen von wenigen Minuten Länge konnten nicht vom 16mm-Material gerettet werden, da sie zu stark beschädigt waren. Immerhin waren es aber über 25 Minuten, die nun zwar nicht in brillianter, aber erkennbarer Qualität zurück geholt werden konnten. Darunter waren neben vielen kleineren Szenenerweiterungen auch ein ganzer Subplot über die Verfolgung von Freder und Johsaphat durch den "Schmalen", der den Film zu einem richtigen Kriminal-Reißer werden läßt. Von diesen Szenen wußte man zuvor zwar, aber es gab noch nicht einmal Fotos von ihnen, so daß deren Entdeckung eine besondere Sensation war. Von der Schlüsselszene, in der Fredersen in Rotwangs Haus das Hel-Denkmal entdeckt, gab es zwar Bilder, aber der genaue Ablauf der Sequenz war unbekannt. Auch die vielen zuvor fehlenden Einstellungen des dramatische Finale gaben der Handlung eine völlig neue Dimension.
Im Gegensatz zur Restauration von 2001 konnten diesmal die Arbeiten pünktlich abgeschlossen werden, wodurch der Erstaufführung am 12. Februar 2010 nichts mehr im Weg stand. Es wurde ein großes Medienspektakel, denn die abendliche Premiere fand gleichzeitig im Friederichpalast in Berlin und in der Alten Oper Frankfurt statt, beide mit Live-Orchesterbegleitung. Die Premiere wurde außerdem live vom in ganz Europa per Satellit unverschlüsselt empfangbaren Sender arte gezeigt, der einen umfangreichen Themenabend mit Vorprogramm und nachfolgender Dokumentation aus dieser einmaligen Gelegenheit machte. In Berlin wurde die Premiere außerdem auf einer Riesenleinwand am Brandenburger Tor gezeigt, wo trotz Eiseskälte eine erstaunliche Anzahl von Leuten zuschaute.
82 Jahre nach der Uraufführung ist Metropolis durch den Fund des argentinischen Materials nun wieder fast genauso zu sehen wie bei der Berliner Premiere im Frühjahr 1927. Die aus der 16mm-Kopie eingesetzten Szenen werden zwar immer aus dem Rest des Films herausstehen, aber die inhaltliche Komplettheit ist einfach wichtiger als die visuelle Perfektion. 2010 ist Metropolis von einem Puzzle zum erwachsenen Film geworden, denn nun macht der Plot endlich Sinn und ist nicht mehr von Rätseln durchzogen, die sich früher nur durch Spekulationen erklären ließen.
Die DVD
Sieben Jahre nach der vorherigen Veröffentlichung wurde die neue, fast komplette Restauration von Fritz Langs Metropolis im November 2010 als Blu-Ray und DVD veröffentlicht - allerdings vorerst nur in den USA und in England, wo sich das britische Studio Eureka besondere Mühe gegeben hatte. Metropolis war in insgesamt drei verschiedenen Ausgaben in der Masters of Cinema-Reihe erschienen: eine DVD, eine Blu-Ray und eine DVD/BD-Kombination, die in der Erstauflage als einzige in einem exklusiven Steelbook untergebracht ist. Das Bonusmaterial in allen Ausgaben besteht hauptsächlich aus einem neuen Audiokommentar und der bereits bei der Fernsehpremiere im Februar 2010 gesendeten Dokumentation und damit gegenüber der alten DVD aus völlig neuem Material.
Die hier rezensierte DVD stammt aus dem DVD/BD-Steelbook, ist aber bis auf die Verpackung identisch mit der einzeln veröffentlichten Version. Entgegen der ursprünglichen Ankündigung wurden Film und Extras auf einer einzigen Disc untergebracht, was
bei über 200 Minuten Material schon höchst bedenklich ist, aber dank einem guten Authoring völlig unproblematisch ist. Erstaunlicherweise wurde die DVD in NTSC codiert, wodurch der Film in der gleichen Geschwindigkeit wie auf der Blu-Ray läuft. Das Steelbok trägt, wie in den Vorankündigungen zu sehen war, das horizontale Postermotiv von Boris Bilinskys Plakaten und enthält außer der Blu-Ray und der DVD auf zwei übereinanderliegenden Haltern auch das 56-seitige Booklet. Trotz der Reduzierung der DVD-Version auf nur eine Disc hätte diese Veröffentlichung nicht besser werden können und wird dem Status des Films wirklich gerecht.
Mit vielem Dank an Glenn "DVD Savant" Erickson, mit dem ich mich schon seit fast zehn Jahren über Metropolis unterhalte. Sein noch viel ausführlicher Artikel über die amerikanische Veröffentlichung der neuen Restauration ist hier zu lesen.
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Bild
Die Metropolis-Restauration von 2001 wurde digital in High-Definition durchgeführt, so daß das Ergebnis wieder als 35mm-Film ausgegeben werden konnte, aber auch ein HD-Bildmaster zur Verfügung stand. Myriaden von Beschädigungen aller Art wurden im Computer retuschiert, oft Filmbild für Filmbild in mühsahmer Kleinarbeit. Von der 2008 in Argentinien entdecken 16mm-Kopie wurden etwa eine halbe Stunde fehlender Szenen übernommen und ebenso aufwendig bearbeitet, aber wegen des schlechten Zustands der Filmvorlage konnte die Qualität der vorherigen Restauration natürlich nicht erreicht werden. Diese DVD wurde direkt von den restaurierten Digitalmastern ohne den Umweg über einen weiteren 35mm-Print erstellt und in NTSC mit 24 progressiven Bildern pro Sekunde codiert. Der Bildvergleich zeigt, daß die Qualität in etwa mit der vorherigen DVD vergleichbar ist und stellenweise sogar optimiert wurde.
Das Ergebnis dieser aufwendigen Restauration ist beeindruckend, aber bedingt durch die Probleme mit dem Quellmaterial natürlich keine Referenzqualität. Man muß sich auf kleinere Qualitätsschwankungen gefasst machen und es wurden längst nicht alle Imperfektionen bereinigt, aber im Hinblick auf das Alter und die Geschichte des Films grenzt es an ein Wunder, daß diese Restauration so gut gelingen konnte. Die Szenen des 16mm-Materials stehen deutlich aus dem restlichen Film heraus und wurden Aufgrund des durch den Kopiervorgang abgeschnittenen Bilds mit dicken Balken am oberen und linken Rand versehen, um sie in der Größe an das 35mm-Material anzugleichen.
Die Schärfe ist den Umständen entsprechend gut, diese DVD legt auch ohne zusätzliches Nachschärfen eine Detailtreue an den Tag, die man bei einem Film dieser Herkunft sonst gar nicht erwarten kann. Stellenweise schwankt die Schärfe wegen des unterschiedlichen Quellmaterials ein wenig, aber die Restauration hat es geschafft, bis auf wenige Ausnahme alles auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Es sind relativ wenige Kratzer, Fussel und andere Störungen zu sehen und treten meist nur in einzelnen Einstellungen etwas stärker auf. Die Beschädigungen, die nicht völlig repariert werden konnten, wurden zumindest eingedämpft und sind nicht direkt wahrnehmbar, allerdings machen sich besonders in der zweiten Filmhälfte einige deutliche Laufstreifen bemerkbar. Das 16mm-Material ist natürlich viel stärker beschädigt und hat trotz der Restaurationsbemühungen noch Unmengen von Kratzern und Laufstreifen, die aber so weit entfernt und gemildert werden konnten, daß das Filmbild wieder besser erkennbar ist.
Die Körnigkeit des Filmmaterials ist fast konstant, variiert aber gelegentlich je nach verwendetem Material und wurde nicht herausgefiltert. Hier handelt es sich nicht um das stechende Grieseln, das man von neueren Produktionen her gewohnt ist, sondern um eine weiche, gleichmäßige Körnigkeit, die ein fester Bestandteil des Bilds ist. Der Bildstand ist dank der digitalen Korrektur auch beim 16mm-Material sehr stabil, wodurch das Bild generell einen sehr ruhigen und soliden Eindruck macht. Die Zwischentitel sind im deutschen Original zu sehen und wurden in einer originalgetreuen Schriftart digital neu generiert, fügen sich aber nahtlos in den laufenden Film ein. Einige Inserts und Nahaufnahmen wurden außerdem im Rahmen der neuen Restauration von 2010 in den Film eingefügt. Kontrast und Helligkeit wurden sehr gut ausbalanciert, wobei gegenüber der vorherigen DVD das Bild etwas dunkler ist und so überstrahlungen von hellen Bildteilen vermieden werden.
Im Gegensatz zur DVD von 2003 wurde das Bild diesmal nicht "windowboxed", sondern leicht aufgezoomt, um den schwarzen Rahmen und die zuvor manchmal sichbaren gerundeten Ecken des Filmbilds zu eliminieren - dadurch ist aber nur sehr wenig vom Filmbild verloren gegangen und das Framing entspricht immer noch dem 1.33:1-Stummfilmbild-Standard. Das Authoring der Eureka-DVD ist trotz einer extrem niedrigen Bitrate kaum sichtbar und ist durch eine sehr variable Kompression, die NTSC-Codierung und die vielen Zwischentitel überraschend unproblematisch. Allerdings wird der Platz auf der DVD nicht wirklich optimalausgenutzt, denn fast 1 Gigabyte liegen noch brach und auch die Tonspuren sind mit einmal 448 kbit/s und zweimal 224 kbit/s sehr verschwenderisch codiert worden. |