Der Film
Der junge Nachwuchsredakteur Doktor Murke ist bei einem Rundfunksender beschäftigt und dem Ressort "Kulturelles Wort" zugeteilt - eine Abteilung, die vor allem vom Kulturpapst Professor Bur-Mallotke dominiert wird. Dessen wortgewaltige, aber oft sinnfreie Reden über das Wesen der Kunst sind der schlimmste Alptraum von Doktor Murke, der am liebsten Bur-Mallotke so oft wie möglich aus dem Weg geht. Eines Tages erwischt es ihn aber doch, als Bur-Mallotke religiöse Gewissensbisse bekommt und in einem seiner Rundfunkvorträge das Wort Gott gegen "jenes höhere Wesen was wir verehren" ersetzen will. Natürlich will der Professor nicht den ganzen Vortrag neu sprechen, sondern nur die einzelnen Worte austauschen - und ausgerechnet Doktor Murke bekommt die ehrenvolle Aufgabe, dies zu erledigen. Murke läßt Bur-Mallotke jedoch ordentlich im Tonstudio schwitzen und findet sogar noch eine Verwendung für die "Götter" des Professors...
Als Ende der fünfziger Jahre Heinrich Böll seine bissige und zynische Satire über das seltsame Treiben in der Kulturabteilung eines Rundfunkhauses schrieb, steckten Radio und besonders das Fernsehen in Deutschland noch in den Kinderschuhen. Bürokratie und übertriebene Korrektheit herrschte überall, und gerade im Bereich Kultur geschahen die seltsamsten Dinge. Ein Szenario wie es der arme Doktor Murke erlebt, ist also gar nicht so weit hergeholt, wenn natürlich auch etwas satirisch auf die Spitze getrieben.
Wie Doktor Murke seinen Weg ins deutsche Fernsehen fand, ist heute nicht mehr genau nachverfolgbar.. Die treibende Kraft hinter der Fernsehadaption von Bölls Kurzgeschichte war ein damals noch völlig unbekannter junger Kabarettist namens Dieter Hildebrandt, der bis dahin hauptsächlich als Mitglied und Mitbegründer der Münchener Lach- und Schießgesellschaft bekannt war und nur durch die jährlichen TV-Aufzeichnungen der Kabarettgruppe Kontakte zum Fernsehen hatte. Irgendjemand beim Hessischen Rundfunk muß aber auf Dieter Hildebrandt aufmerksam geworden sein und ihm Anfang der sechziger Jahre angeboten haben, Heinrich Bölls Mediensatire als dreiviertelstundigen Fernsehfilm zu adaptieren und auch die Hauptrolle zu übernehmen.
Dieter Hildebrandt gelang es den Stoff erstaunlich gut zu adaptieren, und sogar ein Treffen mit Heinrich Böll ging durchweg positiv aus – der Schriftsteller war von dem Drehbuch des Nachwuchsautors begeistert und meinte, daß er selbst gar keine Dialoge schreiben könnte, denn sonst hätte er das Drehbuch selbst verfaßt. Auch der mit dem Projekt beauftragte Regisseur war einer der ganz großen: Rolf Hädrich war seit den fünfziger Jahren in verschiedenen deutschen Rundfunk- und Fernsehsendern beschäftigt und seit 1957 Oberspielleiter beim Hessischen Rundfunk und kannte sich so bestens hinter den Kulissen von Funk und Fernsehen in Deutschland aus.
Gedreht wurde stilecht im gerade neu gebauten Funkhaus des Hessischen Rundfunks, das mit seinem für damalige Verhältnisse riesigen Foyer und den endlosen Korridoren ideal für die sterile, unterkühlte Atmosphäre der Geschichte war. Der fast dokumentarische Charakter wird durch die vielen kleinen und großen satirischen Gags, die Dieter Hildebrandt und Rolf Hädrich untergebracht hatten deutlich aufgelockert, auch wenn das seltsame Treiben im Funkhaus dadurch nicht weniger realistisch wirkt. Mit zu der besonderen Stimmung trägt auch die Musik von Peter Thomas bei, die einerseits fast futuristisch klingt, aber auch ein typisches Beispiel des Rundfunk-Sounds der frühen sechziger Jahre war und sich selbst auch nicht ganz ernst nimmt.
Obwohl Dieter Hildebrandt als Hauptdarsteller genannt wird, ist Doktor Murkes gesammeltes Schweigen ein richtiges Ensemblestück, das genauso von den anderen Darstellern mitgetragen wird. Robert Meyn als der wichtigtuende Professor Bur-Malottke wirkt wie eine frühe Inkarnation von Kulturpapst Reich-Ranicki und demonstriert sehr eindrucksvoll und gewaltig, was für seltsame Figuren die Medien schon damals anziehen konnten. Dieter Borsche bringt als sanftmütiger Intendant das Gegenstück zum stürmischen Bur-Malottke ins Spiel und spielt den typischen ahnungslosen Beamten in Führungsposition. Dieter Hildebrandt selbst kommt seine natürliche Schüchternheit zunutze und bringt die Ängste, Hoffnungen und Ideen des Charakteres in seinem inneren Monolog mit der für ihn so bekannten trockenen Art einzigartig herüber. Viele weitere kleine Charaktere sorgen außerdem für viel Abwechslung, jeder von ihnen scheint eine kleine unerwähnte Geschichte in sich zu tragen.
Der Humor bewegt sich strikt auf der satirischen Seite, denn für Holzhammer-Witze ist natürlich in der Böll-Adaption kein Platz. Man könnte Doktor Murkes gesammeltes Schweigen fast als gefilmtes Kabarett bezeichnen, wobei natürlich die Spontanität einer Bühnenaufführung fehlt – die typische Art der sehr zynischen und fast sogar manchmal richtig bösen Satire ist aber geblieben. Vierzig Jahre später wirkt das Fernsehspiel immer noch aktuell, obwohl sich die Verhältnisse in Funk und Fernsehen heuzutage natürlich völlig geändert haben – dafür ist Doktor Murke heute ein sehr interessantes und unterhaltsames Zeitdokument.
Ein Jahr nach der Inszenierung von Doktor Murkes gesammeltes Schweigen nahmen sich Dieter Hildebrandt und Rolf Hädrich auch Heinrich Bölls Fortsetzung, Doktor Murkes gesammelte Nachrufe vor, die aber nicht einmal ansatzweise so bekannt wurde wie sein Vorgänger. Die auf anderthalb Stunden statt nur 45 Minuten angelegte Inszenierung verlagerte die Handlung vom Rundfunk zum Fernsehen und machte den armen Doktor Murke zuständig für die Nachruf-Abteilung “Pro Memoriam” eines Fernsehsenders und läßt ihn wieder einmal mit Professor Bur-Malottke zusammentreffen. Diesmal ist Doktor Murke aber nur ein Nebencharakter unter vielen, denn das bunte Treiben im Fernseh-Funkhaus wird akribisch in fast etwas zu vielen Aspekten auf den Arm genommen. Ein Wiedersehen nicht nur mit Professur Bur-Mallotke, sondern auch mit vielen anderen Charakteren aus dem ersten Film sorgt trotzdem für beste Unterhaltung und einen interessanten humorvollen Blick hinter die Kulissen des deutschen Fernsehens der sechziger Jahre.
Die DVD
Beim digitalisieren von alten VHS-Bändern fiel mir letztes
Jahr eine Aufnahme von Doktor Murkes gesammeltes Schweigen in
die Hand, die ich auch sofort auf eine DVD überspielte – um nach getaner
Arbeit festzustellen, daß es diesen Satire-Klassiker schon seit etwas
längerer Zeit als DVD vom Hessischen Rundfunk zu kaufen gibt. Besonders
viel Arbeit hat sich hrMedia mit dieser DVD zwar nicht gemacht, aber immerhin
bekommt man Doktor Murkes gesammeltes Schweigen und den sehr
seltenen Nachfolger Doktor Murkes gesammelte Nachrufe zusammen
auf einer DVD, die sogar ein viertelstündiges Interview mit Dieter Hildebrandt
als Extra mitbringt. Qualitativ ist diese DVD kein Meisterstück, aber
hier kommt es viel mehr auf den Inhalt an.
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Bild
hrMedia hat sich leider mit dieser DVD keine wirklich große
Mühe gemacht und nur vorhandene Videomaster völlig unbearbeitet
digitalisiert. Zum Glück scheinen diese Master jedoch noch etwas
neueren Datums zu sein, so daß analoge Videoartefakte kein Problem
sind.
Doktor Murkes gesammeltes Schweigen macht noch einen ganz akzeptablen
Eindruck. Die Filmvorlage hat zwar einige Kratzer und Fussel und auch
ein paar Aktwechselmarkierungen, aber diese halten sich alle in erträglichen
Grenzen und fallen nicht ganz so deutlich auf. Auch der etwas unruhige
Bildstand macht sich nicht wirklich störend bemerkbar. Ärgerlich
dagegen ist das deutlich milchige und unscharfe Bild, das ein Produkt
von alter Abtastungstechnik zu sein scheint - allerdings wurde auch keine
Versuche unternommen das Bild noch zusätzlich aufzuschärfen.
Kontrast und Helligkeit sind etwas zu hell eingestellt, in der Titelsequenz
kann man daher teilweise kaum die stark überstrahlende weiße
Schrift lesen. Trotzdem ist die Qualität für eine vierzig Jahre
alte auf Film gedrehte Fernsehsendung noch wirklich akzeptabel, besonders
wenn man bedenkt daß keinerlei Restaurationsbemühungen stattgefunden
haben.
Obwohl ein klein wenig jünger macht der Nachfolger Doktor Murkes
gesammelte Nachrufe gar keinen so guten Eindruck. Das Problem liegt
deutich an der erheblich schlechter erhaltenen Filmvorlage, die teilweise
richtig stark beschädigt ist. Beim ersten Aktwechsel um 18:16 machen
sich nicht nur kräftige Kratzer auf der Filmvorlage bemerkbar, es
scheinen auch einige Frames zu fehlen weil der Ton plötzlic asynchron
und zum Schluß sogar mitten im Satz abgeschnitten wird - ähnliches
passiert in etwas milderer Form auch bei den anderen Aktwechseln, die
sich durch Markierungen deutlich ankündigen. Neben dem schlechten
Zustand der Vorlage ist auch die Abtastung nicht die beste - im Gegensatz
zum Vorgänger wurde hier sehr brutal nachgeschärft, wodurch
das Bild einen sehr elektronischen Eindruck bekommt. Doppelkanten sind
hier praktisch überall zu sehen, und die massive Aufschärfung
führt sogar stellenweise zu deutlichem Zeilenflimmern. Der Bildstand
ist nicht nur um die Aktwechsel herum sehr holperig und läßt
auf zahlreiche Perforationsbeschädigungen schließen.
Insgesamt kann man eigentlich nur sagen: schade! Ein neuer Filmtransfer
mit automatischem digitalen Cleanup hätte hier Wunder gewirkt, aber
leider scheint hrMedia doch nicht genug Interesse an den Fernsehklassikern
des Hessischen Rundfunks zu haben, als daß da mal etwas mehr als
nur die Überspielung eines vorhandenen Masters in Frage käme.
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Ton
Im Gegensatz zum Bild hat der Ton die Jahre viel besser überstanden.
Offenbar hat der Hessische Rundfunk die Tonmaster auf Magnettonbändern
konserviert, die viel besser als die Filmmaster erhalten blieben. Da der
Ton der beiden Filme aus nicht viel mehr als live auf dem Set aufgenommenen
Dialogen und etwas Musik besteht, konnte hier nicht viel schiefgehen und
auf einen Remix des Original-Monotons wurde natürlich auch verzichtet.
Die Tonspuren sind frei von auffälligen Störungen wie Knistern
oder Knacksen, lediglich ein mehr oder weniger starkes Grundrauschen ist
noch hörbar, das zum Glück nicht herausgefiltert wurde. Frequenzgang
und Dynamik sind natürlich etwas eingeschränkt, aber nicht so
stark als daß es stark auffallen würde. Verzerrungen sind kaum
wahrnehmbar, sogar die Musik hat einen einigermaßen kräftigen
und sauberen Klang, der sogar die hohen Frequenzen nicht klirren läßt
und einen erstaunlich guten Baß bietet.
Die Dialoge sind das wichtigste der beiden Filme und sind in allerbester
Qualität zu hören – so gut wie sie eben 1964 und 1965
aufgenommen wurden. Das bedeutet je nach Aufnahmeort einen manchmal etwas
hohlen oder blechernen Klang, aber immer eine ausgezeichnete Verständlichkeit,
die auch das fehlen jeglicher Untertitel etwas verschmerzen läßt.
Für über vierzig Jahre alte Fernsehproduktionen hinterlassen
die Tonspuren der beiden Filme einen erstaunlich guten Eindruck.
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