Das Konzert
Der Cavern Club in Liverpool war der wohl berühmteste Musikclub der westlichen Welt. Dies hatte dieser unspektakuläre Ort, der eigentlich nur ein dunkler Keller war, hauptsächlich der Tatsache zu verdanken, daß die Beatles zwischen 1961 und 1963 dort oft auf der Bühne standen. Für die Beatles war es nur einer von hunderten von Auftrittsorten, aber es war im Cavern Club, wo ihr späterer Manager Brian Epstein auf sie aufmerksam geworden war - es war sozusagen der Ort, an dem eine Legende geboren wurde.
1973 wurde der Cavern Club während unterirdischen Bauarbeiten an der Merseyrail-U-Bahn verfüllt, aber etwas über zehn Jahre später ließ die Liverpooler Fußball-Legende Tommy Smith den Keller ganz in der Nähe des Originals wieder aufbauen. Wegen finanziellen Schwierigkeiten wurde der Club 1991 für anderthalb Jahre geschlossen, aber 1991 wurde der Cavern Club unter der Leitung von Schullehrer Bill Heckle und Taxifahrer Dave Jones wieder eröffnet und ist seitdem sowohl eine große Touristenattraktion als auch ein erfolgreicher Musikclub, der mit einem aktiven Programm von Oldies und aktueller Musik vielen Bands als Ort für kleine, spontane Live-Auftritte dient.
Lange Zeit war der Cavern Club außerhalb von England nach den Erfolgen der sechziger Jahre kaum bekannt, bis 1999 ein besonderes Ereignis in die weltweite Presse brachte. 36 Jahre nach dem letzten Auftritt der Beatles kehrte einer von ihnen in den Cavern Club zurück: am 14. Dezember 1999 lud Paul McCartney 300 Zuschauer zu einem einzigen Konzert ein. Was den Ex-Beatle an diesen ganz besondern Ort zurückführte, war nicht nur reine Nostalgie oder ein Werbe-Gag, sondern seine ganz persönliche Vorliebe für den Rock'n'Roll der fünfziger und sechziger Jahre.
Paul McCartney war schon in den sechziger Jahren für einige der besten Rock-Songs der Beatles wie I Saw Her Standing There, Back in the USSR und viele andere verantwortlich und hatte auch als Solo-Musiker oft ein Faible für dieses musikalische Genre. 1988 hatte er sich einen Traum erfüllt und mit einer handverlesenen Band ein Album eingespielt, das nur aus Cover-Versionen von alten Rock'n'Roll-Klassikern bestand. Nach dem tragischen Tod seiner Frau Linda im Frühjahr 1998 war Paul McCartney verständlicherweise nicht mehr zum Musikmachen zumute, aber im folgenden Jahr brach er auf eine Reise in die musikalische Vergangenheit auf.
Ähnlich wie zehn Jahre zuvor kam Paul McCartney als musikalische Therapie auf die Idee, noch einmal ein Album mit Cover-Versionen von alten Rock'n'Roll-Songs aufzunehmen. Dabei sollten es nicht nur die ganz offensichtlichen Kandidaten sein, sondern auch etwas obskurere, selten gespielte Songs, die McCartney mit drei eigenen Neukompositionen ergänzt hatte. Die Songs sollten ohne große Vorbereitung und technische Tricks in möglichst wenigen Takes ganz spontan aufgenommen werden - für dieses in heutigen Zeiten für andere Musiker praktisch undenkbares Vorhaben hatte sich McCartney eine handvoll Musiker-Kollegen eingeladen, die weniger wegen ihrer Berühmtheit als einfach aus Spaß an der Sache mitmachten.
Einer der ersten, die dem Projekt zugesagt hatten, war Gitarrist Mick Green, der schon auf McCartneys vorherigem Rock'n'Roll-Album gespielt hatte. Seinen Höfner-Baß legte er diesmal nicht aus der Hand, aber für die zweite Gitarre wandte sich der Ex-Beatle an Pink Floyd-Gitarrist David Gilmour, mit dem er in den achtziger Jahren auch schon zusammengearbeitet hatte. Am Schlagzeug saß Deep Purple-Drummer Ian Paice, der bei zwei Stücken von David Mattacks vertreten wurde. Als echte Rock'n'Roll-Band durfte natürlich auch nicht auf einen Klavierpart verzichtet werden, der von Pete Wingfield und Geraint Watkins beigesteuert wurden.
Das Album mit dem Titel Run Devil Run wurde im März und Mai 1999 in den Londoner Abbey Road Studios in nur sieben Tagen aufgenommen - an dem Ort, der in den sechziger Jahren ein zweites Zuhause für die Beatles war. Mit dabei waren deshalb auch zwei Leute, die damals schon mit ihnen zusammengearbeitet hatten: Produzent Chris Thomas und Tontechniker Geoff Emerick. Mit diesen fünf Tagen im Frühjahr 1999 war aber noch nicht Schluß, denn der überraschend große Erfolg des Albums brachte Paul McCartney auf eine ganz verrückte Idee: warum nicht ein kleines, spontanes Konzert im Cavern Club veranstalten und eine Auswahl der Songs von Run Devil Run spielen?
Paul McCartney setzte die Idee in die Tat um und konnte auch David Gilmour, Mick Green, Pete Wingfield und Ian Paice dafür begeistern. Als Termin wurde der 14. Dezember 1999 anvisiert, aber mit Rücksicht auf die Größe des wiederaufgebauten Cavern Clubs wurden nur 300 Gäste eingeladen - darunter natürlich viele prominente Bekannte und Freunde von Paul McCartney, aber auch einige Fans, die das Glück hatten einige der begehrten Karten zu ergattern. Eine große Werbekampagne, wähernd der McCartney und seine Band auch in einigen britischen Fernsehshows auftraten und einige Probekonzerte gaben, sorgte dafür, daß das Cavern Club Concert zu einem ausgewachsenen musikalischen Ereignis wurde.
Nur mit seiner Hofner-Baßgitarre bewaffnet und von seinen vier Musiker-Kollegen unterstützt, trat Paul McCartney am Abend des 14. Dezember 1999 auf die beengte Bühne des Cavern Club und rockte, was das Zeug hielt: fünf Leute, beinahe könnte man sie schon "ältere Herren" nennen, entfesselten ein wahres Rock'n'Roll-Feuerwerk mit einfachsten Mitteln, an dem sich viele andere Musiker eine große Scheibe abschneiden könnten. Damit das einmalige Ereignis nicht nur den dreihundert geladenen Zuschauern vorbehalten blieb, wurde das nur dreiviertelstündige Konzert außerdem live im Fernsehen übertragen. Die ursprünglich geplante weltweite Ausstrahlung fiel aber wegen rechtlicher Schwierigkeiten weitgehend ins Wasser, direkt live wurde nur in England gesendet. Man konnte das Konzert auch im Internet in einem Real-Media-Stream verfolgen, der aber oft unter der enormen Last zusammenbrach.
Bei der Auswahl der Songs hielt sich Paul McCartney eng an Run Devil Run, ließ aber einige der fünfzehn Songs inklusive des Titelstücks aus Zeitgründen weg und entschied sich stattdessen für andere Klassiker. Statt She Said Yeah, Run Devil Run, Movie Magg, Coquette und I Got Stung wurden Fabulous, sein Lieblings-Rocker Twenty Flight Rock und als einziger Beatles-Song I Saw Her Standing There ins Programm genommen - letzterer hatte auch eine enge Verbindung zum Cavern Club, weil er noch dort von den Beatles gespielt wurde. Die weiteren Songs wurden alle von Run Devil Run übernommen, hörten sich aber durch die Spontanität des Konzerts noch viel frischer und lebendiger an als die Studioaufnahmen des Albums.
Obwohl Paul McCartneys Konzert im Cavern Club nicht ganz das riesige Medienereignis wurde, als daß es ursprünglich geplant war, konnte der Ex-Beatle noch einmal das zeigen, was er am besten kann: handfesten Rock'n'Roll spielen. Run Devil Run und das Cavern Club Concert waren für McCartney der Start in ein ganz neues Leben, aber nie hatte sich seine Musik besser angehört als am 14. Dezember 1999 in einem dunklen Keller in Liverpool.
Trackliste
• Honey Hush
• Blue Jean Bop
• Brown Eyed Handsome Man
• Fabulous
• What It Is
• Lonesome Town
• Twenty Flight Rock
• No Other Baby
• Try Not To Cry
• Shake a Hand
• All Shook Up
• I Saw Her Standing There
• Party
Die DVD
Da Paul McCartneys einmaliger Auftritt im Cavern Club im Dezember 1999 längst nicht überall im Fernsehen zu sehen war, wurde schon von Anfang an eine DVD-Veröffentlichung vorbereitet, die allerdings noch etwa ein halbes Jahr auf sich warten ließ. Im Sommer 2000 wurde aber schließlich Paul McCartney - Live at the Cavern Club weltweit fast gleichzeitig als DVD und sogar VHS-Kassette in den Handel gebracht - in Deutschland erschien die paneuropäische PAL-DVD im Vertrieb von Icestorm.
Auf der von der Multimedia-Abteilung der Abbey Road Studios produzierten DVD befinden sich nicht nur das gerade einmal 45 Minuten lange Konzert mit solider Bild- und Tonqualität, sondern auch einige Extras, die die Laufzeit der Disc auf fast anderthalb Stunden verlängern und nicht nur sinnloser Füllstoff sind. Trotz des kurzen Konzerts hat diese Veröffentlichung vorgemacht, wie man eine vernünftige Musik-DVD richtig produziert.
Die hier rezensierte DVD ist die von Icestorm vertriebene deutsche Ausgabe, die allerdings der europäischen Ausgabe entspricht und deren Extras unter anderem auch mit deutschen Untertiteln ausgestattet ist. Leider sind alle DVDs des Konzerts zur Zeit weltweit out-of-print, aber gelegentlich lassen sich noch gebrauchte Exemplare zu günstigen Preisen ergattern.
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Bild
Das Konzert wurde mit digitalem Video-Equipment aufgezeichnet, das 1999 State-of-the-Art war und heute immer noch erstaunlich gut aussieht, wenn man die nicht ganz einfachen Produktionsumstände bedenkt. Immerhin wurde in 16:9 produziert, was zu dieser Zeit noch nicht selbstverständlich war.
Das Bild hat eine ganz ordentliche, aber nicht völlig optimale Schärfe, die nicht ganz mit auf 35mm-Film gedrehten Produktionen konkurrieren kann. Allerdings waren die Kameras schon so weit entwickelt, daß das Bild keinen typischen Video-Look hat und durchaus realistisch und natürlich aussieht. Das leiche Bildrauschen und die etwas verzerrten Bilder der Mini-Kamera an Ian Paice's Drumkit wirken kaum störend, ansonsten sieht das Bild für eine über zehn Jahre alte Video-Produktion erstaunlich sauber aus. Auch die etwas gedämpften Farben, die durch die schummerige Atmosphäre im Cavern Club entstanden sind, werden einwandfrei wiedergegeben.
Erstaunlicherweise ist das Bild komplett progressiv und hat saubere 25 Bilder pro Sekunde, ohne daß man auf aufwendige De-Interlacing-Routinen zurückgreifen muß. Typische Videoartefakte wie Treppchenbildung oder Nachzieheffekte sind nicht zu sehen und auch die Kompression macht sich nicht negativ bemerkbar, obwohl nach Abzug der Tonspuren nicht mehr besonders viel von der Bitrate von durchschnittlich 6.5 Mbit/s übrigbleibt.
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Ton
Viel wichtiger als die Bildqualität dieser DVD ist natürlich die Tonabmischung, die in den Abbey Road Studios gemacht wurde und in gleich drei Varianten zu hören ist: zweimal in Dolby Digital in 5.1 und 2.0 und einer zusätzlichen DTS-Tonspur, die ich mir allerdings mangels passendem Verstärker nicht angehört habe.
Hinter der 2.0-Tonspur scheint sich offenbar die ursprüngliche Stereo-Abmischung von der Fernsehausstrahlung zu verbergen, die nicht richtig optimal war und nur einen etwas pappigen, wenig baßlastigen Klang zu bieten hat, der zudem auch noch stark mit dem Stereo-Spektrum geizt und bei der Wiedergabe in ProLogic zu sehr auf den mittleren Lautsprecher kollabiert. Diese Tonspur ist eigentlich kein großes Vergnügen und hier wahrscheinlich nur der Vollständigkeit halber dabei.
Die 5.1-Abmischung kann dagegen mit einem Sound aufwarten, der dem Konzert richtig gerecht wird. Die vordere Soundstage wurde enorm verbreitert, wodurch die Separation der Instrumente viel besser ist. Die Surroundkanäle werden für eine äußerst realistische Rekonstruktion des Raumklangs im Cavern Club verwendet und obwohl der Klang etwas diffus ist auch die Stimmen nicht völlig auf den Center-Kanal beschränkt sind, wird diese Abmischung gerade deswegen sehr frisch und lebendig. Nach einem simplen Upmix einer Stereo-Quelle hört sich dies überhaupt nicht an - hier merkt man, daß die Tontechniker in der Abbey Road aus den Mehrspurbändern einen erstklassigen Surround-Mix herbeigezaubert haben.
Während das Konzert selbst keine Untertitel besitzt (eine Spur mit den Songtexten wie bei Get Back wäre nicht schlecht gewesen), sind zumindest die Extras auf Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch untertitelt worden.
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Bonusmaterial
Das nur knapp 45-minütige Konzert hätte ein Billiganbieter sicher ganz alleine auf eine DVD gepreßt, aber die Produzenten von Abbey Road Interactive haben es sich nicht nehmen lassen, Paul McCartney's Konzert mit interessanten Extras und einer sehr professionell wirkenden Menügestaltung auszustatten.
Das Interview (17:12) ist mit "Our Paul" betitelt und gibt McCartney die Gelegenheit sehr ausführlich über die Hintergründe des Konzerts und der Auswahl der Songs zu berichten, zu denen er jeweils eine kleine Geschichte zu erzählen hat.
Promo (21:58) läßt ein Werbefeaturette vermuten, aber dahinter steckt eigentlich ein ausführliches und unterhaltsames Making-Of des Run Devil Run-Albums. Es sind noch mehr Interviews mit Paul McCartney, Behind-the-Scenes-Aufnahmen und einige Konzertausschnitte zu sehen - in der knappen Laufzeit bekommt man erstaunlich viel geboten, inklusive Hintergründe zu einigen Songs. Der einzige Wermutstropfen ist das nur in kurzen Ausschnitten zu sehende Live-Konzert, der nicht aus dem Cavern-Club-Auftritt entnommen wurde und von dem es ruhig etwas mehr hätte geben können.
The Cavern Club enthält einige informative und ausführliche Texttafeln über die Geschichte der berühmten Liverpooler Musikhöhle.
Interactive Elements enthält noch einige weitere Extras, die allerdings nicht so interaktiv sind, wie der Menütitel vermuten läßt. Zwei als Promos bezeichnete, aber sehr gelungene Musikvideos zu den Songs Brown Eyed Handsome Man (2:42) und No Other Baby (4:20) sind zu sehen und eine Trackliste des Run Devil Run-Albums in Form einer Jukebox, bei der man zu den im Konzert vorkommenden Songs direkt springen kann.
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