Der Film
Remy ist eine Ratte mit einem Geheimnis. Im Gegensatz zu seinen Artgenossen hat er einen hochentwickelten Geruchs- und Geschmackssinn und frißt nicht jeden Dreck in sich hinein, sondern ist ein leidenschaftlicher Gourmet, der seinem Idol, dem Meisterkoch Gusteau, heimlich nacheifert. Eine mittlere Katastrophe, an der er nicht ganz unschuldig ist, trennt ihn von seinem Clan und spült ihn durch die Kanalisation mitten in die Innenstadt von Paris vor die Türen von Gusteaus ehemaligem Restaurant, das nach dem kritiker-verursachten Tod des Meisterkochs vom geldgierigen Küchenchef Skinner übernommen wurde. Remy landet beinahe im Kochtopf von Linguini, einem tolpatschigen Küchengehilfen, mit dem er einen Pakt schließt und so seine Kochkünste auf ungewöhnliche Weise ausleben kann, ohne aus der Küche herausgeworfen zu werden...
Als im Sommer 2004 Pixar ankündigte, genug von der Disney-Herrschaft zu haben und sich nach einem neuen Partner umzusehen, war dies der Höhepunkt eines lang anhaltenden Streits zwischen Pixar-Chef Steve Jobs und Disney-CEO Michael Eisner, der fast zum Bruch zwischen den Studios führte - zwischenzeitlich hatte Disney sogar eine eigene digitale Trickfilm-Abteilung gegründet, um auf eigene Faust Toy Story 3 zu produzieren. Erst nachdem Eisner ein Jahr später vom Disney-Vorstand vor die Tür gesetzt wurde, begann sich das Verhältnis mit Pixar zu entspannen und führte zu einer Situation, die kurze Zeit zuvor noch undenkbar gewesen wäre: Anfang 2006 wurde Pixar von Disney in einem Aktiengeschäft aufgekauft, das Steve Jobs in den Disney-Vorstand katapultierte und den kreativen Leiter John Lasseter zum Chef von Disneys Trickfilm-Abteilung machte. Pixar blieb nicht nur als Name, sondern auch als eigenständig agierende Firma erhalten und bekam noch mehr Entscheidungsgewalten als zuvor.
Mäuse, Ratten und andere Nagetiere
Cars war die letzte Pixar-Produktion, der noch unter den alten Vertragsbedingungen entstanden war und die Fans das schlimmste befürchten ließ, denn der Film blieb weit hinter den hohen Erwartungen nach The Incredibles zurück. Es war kein völliger Flop, aber die Lobeshymnen hielten sich in Grenzen und viele fragten sich, ob Pixar die Ideen ausgegangen wären. Dieser Eindruck verstärkte sich auch noch, als 2005 die neue Pixar-Produktion Ratatouille vorgestellt wurde. Kurze Zeit zuvor hatten Aardman und Dreamworks bereits Flushed Away angekündigt, ebenfalls eine Geschichte mit Ratten als Protagonisten - was jedoch anfänglich wieder wie ein Wettrennen zwischen zwei Rivalen aussah, erwies sich letztendlich als reiner Zufall, denn die beiden Ideen hatten so gut wie gar nichts miteinander zu tun.
Seltsam erschien die Prämisse des Films jedoch schon, denn sprechende Nagetiere waren keine wirklich neue Idee: schon 1990 turnte in der Verfilmung von Roald Dahls Kinderbuchklassiker The Witches eine Maus mit Hilfe von Jim Henson's Creature Workshop auf der Leinwand herum, und 1999 und 2002 stand eine computeranimierte Maus im Mittelpunkt der Abenteuer von Stuart Little, und Mäuse in Zeichentrickfilmen gab es sowieso wie Sand am Meer. Trotzdem wagte es Pixar, noch einen weiteren Film mit Nagetieren als Hauptdarsteller in Angriff zu nehmen - eine Entscheidung, die nicht von ungefähr kam, sondern eine lange Vorgeschichte hatte.
Takeover
Pixars Ratten-Geschichte ging ursprünglich auf ein Konzept von Jan Pinkava zurück, einem langjährigen Pixar-Mitarbeiter, der in den frühen Tagen des Studios an prämierten Werbespots gearbeitet hatte und 1997 mit seinem Kurzfilm Geri's Game einen Oscar gewann. Seit 2000 arbeitete Pinkava an einer Filmidee über eine Ratte mit Kochleidenschaft, die gerade zu dem Zeitpunkt grünes Licht bekam, als der Vertrag zwischen Pixar und Disney ausgelaufen war. 2005 war die Preproduktion schon relativ weit fortgeschritten - Jan Pinkava hatte schon die grobe Story, das Design, die Sets und die Charaktere entwickelt, als unerwartete Ereignisse den Film gefährdeten.
Angesichts der Turbulenzen zwischen Disney und Pixar und der ungewissen Zukunft wollte das Studio kein Risiko eingehen. Jan Pinkavas Film war der erste, der alleine von Pixar in Bewegung gesetzt worden war und als potentielles Lockmittel für Verhandlungen mit anderen Studios dienen sollte, aber das Studio hatte große Sorgen, daß das Projekt ein Flop werden oder der anvisierte Starttermin im Sommer 2007 nicht mehr eingehalten werden könnte. Studiochef John Lasseter zog schließlich die Notbremse und ging zusammen mit seinen Kollegen Steve Jobs und Ed Catmull auf die Suche nach jemandem, der das Projekt retten könnte.
Vogel Rettet Ratten
Weil alle anderen Pixar-Regisseure anderweitig beschäftigt waren, wandten sich die Studiochefs an Brad Bird, der gerade eine Promotiontour für die DVD seines Pixar-Trickfilms The Incredibles beendet hatte und eigentlich schon in den Urlaub gefahren war. Die Pixar-Chefs baten ihn, sich erst einmal nur anzuschauen, was mit dem Film nicht stimmt und bei der Entwicklung des Drehbuch mitzuhelfen. Nach zweiwöchiger Arbeit zusammen mit Jan Pinkava und dem Produktionsteam fuhr Brad Bird wieder zurück in seinen wohlverdienten Urlaub, aber die Probleme des Films waren immer noch nicht gelöst und zwei Tage später erhielt Bird Anrufe von der gesamten Pixar-Führungsriege, die ihn baten die Regie des Films komplett zu übernehmen.
Brad Bird, der eigentlich weiter Urlaub machen wollte und schon sein erstes Realfilm-Projekt begonnen hatte, zögerte trotzdem nicht lange und nahm die Herausforderung an. Über den Verbleib von Jan Pinkava hüllten sich aber alle Beteiligten inklusive des Filmemachers selbst in tiefes Schweigen - ob nun hinter den Türen der Pixar-Chefetage ein knallharter Rauswurf oder eine freundliche Übergabe stattgefunden hat, wird man wahrscheinlich nie erfahren. Brad Bird wußte jedoch die Arbeit von Jan Pinkava zu schätzen und sorgte dafür, daß er als Co-Regisseur und Autor nicht vergessen blieb.
Zeit ist Geld
Obwohl die Preproduktion schon relativ weit fortgeschritten war, wußte Brad Bird, daß es keine Zeit zu verschwenden gab. Eineinhalb Jahre, gerade einmal 18 Monate, waren noch bis zur geplanten Premiere im Sommer 2007 Zeit - normalerweise brauchte ein Pixar-Film bisher mindestens doppelt so lange bis zur Fertigstellung. Es war noch kein einziges Filmbild gerendert, und auch das Drehbuch war noch lange nicht fertig, aber Brad Bird ließ sich nicht davon beirren. Es war schließlich nicht der erste Pixar-Film, der in fast letzter Minute gerettet wurde - schon 1999 war es John Lasseter und Lee Unkrich gelungen, die durch die parallelen Arbeiten an A Bug's Life in Schieflage geratene Produktion von Toy Story 2 innerhalb von acht Monaten kinoreif zu bekommen.
Brad Bird machte sich sofort an die Arbeit und begann eine neue Strategie zu entwickeln, um Jan Pinkavas Idee in der kurzen noch verfügbaren Zeit auf die große Leinwand zu bringen. Ein ausführliches Rechercheprogramm zu den Themen Paris, Kochkunst und natürlich Ratten wurde in Angriff genommen: es wurden Exkursionen nach Frankreich unternommen um die richte Atmosphäre für die Szenerie zu finden, mit Thomas Keller wurde einer der erfolgreichsten Chefkochs der USA mit französischen Hintergrund als Berater engagiert und die Animatoren hatten monatelang in den Pixar-Studios in Emeryville ein Terrarium mit Ratten stehen, um die Nagetiere genau studieren zu können.
Ein neues Team brauchte sich Brad Bird nicht zusammenstellen, denn es arbeiteten schon die besten Leute von Pixar an dem Projekt. Eine der treibenden Kräfte, die schon lange vor Brad Birds Einstieg dabei waren, war Produzent Brad Lewis, der früher einmal mit Dreamworks/PDI arbeitete und für deren ersten computeranimierten Trickfilm verantwortlich war, bevor er 2001 zu Pixar ging. Ausführender Produzent bei Ratatouille war natürlich wie bei allen Pixar-Filmen der kreative Chef John Lasseter, der von Galyn Susman, einer langjährigen Pixar-Mitarbeiterin als Associate Producer unterstützt wurde. Die Kameraführung, die es bei computeranimierten Filmen genauso wie im realen Bereich gibt, wurde mit Robert Anderson und Sharon Calahan auch von zwei Pixar-Veteranen realisiert, und auch Produktionsdesigner Harley Jessup war schon bei einigen früheren Filmen des Studios dabei. Editor Darren T. Holmes und Sounddesigner Randy Thom waren allerdings wieder alte Bekannte von Brad Bird, die schon an The Iron Giant mitgearbeitet hatten und von dem Regisseur in das Pixar-Team eingegliedert wurden.
Rat Story
Jan Pinkava hatte als Autor und Regisseur die Geschichte schon sehr weit entwickelt, aber Brad Bird hatte trotzdem noch eine Menge zu tun. Der Plot und die Charaktere waren noch zu kompliziert und die Story viel zu lang für eine Inszenierung in einem realistischen Rahmen, so daß Brad Bird die Geschichte noch kräftig ändern und die Schwerpunkte verschieben mußte. Während Pinkavas grundlegende Ideen zwar erhalten blieben, wurden im Laufe der Drehbuchentwicklung einige Charaktere in den Hintergrund geschoben, damit die Story nicht die Geschichte von zu vielen Figuren gleichzeitig erzählen mußte. Auch am Filmtitel wurde relativ lange herumprobiert - Rats! war den Filmemachern nicht ansprechend genug, aber nach vielen weiteren Vorschlägen wurde schießlich der kulinarische Aspekt mit den tierischen Figuren verbunden und man konnte sich auf Ratatouille einigen.
Eine weitere grundlegende Änderung der Geschichte betraf die Stimmung, die ursprünglich etwas düster und unheimlich war. Zwar wollte Brad Bird daraus keine süßliche, Disney-typische Angelegenheit machen, aber die Atmosphäre wurde doch deutlich in eine positivere Richtung umgekrempelt - im Mittelpunkt standen nicht mehr hauptsächlich die Schicksale der Protagonisten, sondern etwas völlig anderes: die Leidenschaft zum Kochen und für gutes Essen, die mit einer wundervollnostalgischen Szenerie eines zeitlosen Paris gemischt wurde. Auch sollte es erst gar keine Problem-Geschichte werden, und auch auf eine allzu deutliche Botschaft - abgesehen vielleicht von "Lebe deinen Traum" - wurde zugunsten einer lockeren und positiven Stimmung verzichtet.
Brad Bird ist die Weiterentwicklung von Jan Pinkavas Idee ganz hervorragend gelungen, auch wenn sich manchmal leichte erzählerische Schwächen offenbaren. Die fallen aber selten deutlich auf, wenn Remy nach längerer Abwesenheit als Erzähler plötzlich wieder auftaucht, um den an einigen Stellen mit der heißen Nadel gestrickten Plot zusammenzuhalten - gerade dann bekommt man den Eindruck, als ob die Rückblenden-artige Erzählstruktur erst sehr spät in die Handlung integriert wurde. Abgesehen von diesen kleinen Unebenheiten kann Ratatouille aber dramaturgisch voll und ganz überzeugen und sogar die für einen Trickfilm ungewöhnliche Länge macht sich überhaupt nicht negativ bemerkbar - die Handlung ist ziemlich vollgepackt und läßt keine Minute Langeweile aufkommen.
Brad Birds Drehbuch zeichnet sich außerdem durch einen hohen Anteil an Dialogtext aus, der sehr spritzig und rasant wirkt und einen sehr lockeren und ganz natürlichen Eindruck macht. Dialoggestützte Gags halten sich in Grenzen, aber auch so sind durch die hervorragend geschriebenen Texte die Gespräche der Charaktere äußerst unterhaltsam und machen einen großen Teil der Atmosphäre des Films aus. Der Humor ist bis auf die gelegentlichen Slapstick-Einlagen überraschend subtil und verzichtet auf Holzhammer-Witze, denn Ratatouille ist mehr eine Geschichte, die den Zuschauer zum leisen Schmunzeln anregt als zum lauten Loslachen.
Von Ratten und Menschen
Als Brad Bird in die Produktion von Ratatouille einstieg, waren noch keine Schauspieler engagiert worden, so daß der Filmemacher auch für die Besetzung der Stimmen zuständig war. Wegen der äußerst knappen Zeit traf Brad Bird einige sehr ungewöhnliche, aber ausgezeichnete Entscheidungen. Wie bei Pixar in der Vergangenheit oft üblich bestand die Besetzung nicht nur aus großen Stars, denn in Ratatouille wurde das erste Mal studioeigenes Personal statt in kleinen Nebenrollen auch für wichtigere Charaktere eingesetzt. Eine einzige Hauptrolle gibt es in Ratatouille nicht, viel mehr wird der Film von einem Ensemble-Duo, bestehend aus Ratte und Mensch, getragen.
Während der Küchenjunge Linguini der eigentliche Protagonist des Films ist, wird die Geschichte zum größten Teil aus der Sicht von Remy, der Ratte mit Kochleidenschaft, erzählt.
Für den Nager war Brad Bird auf der Suche nach jemandem mit viel Sarkasmus und gutem humoristischem Timing. Er wurde durch Zufall fündig: Standup-Comedian Patton Oswald hatte in einer Radioshow eine kulinarisch angehauchte Comedy-Routine dargeboten, die dem Regisseur besonders gefallen hatte. Oswalds spritzige, sarkastische Art war genau richtig für den resoluten Remy, dem der Komödiant eine eindrucksvolle Persönlichkeit verschaffen konnte.
Linguini ist der tolpatschige Garbage Boy, den Brad Bird zwar ein wenig zum Slapstick-Instrument umfunktioniert hat und auch hauptsächlich als Comic Relief einsetzt, aber deswegen noch lange keine einfache Witzfigur ist. Dessen Stimme war ursprünglich auch für einen professionellen Schauspieler vorgesehen, aber als der Regisseur die Temp-Track von Pixar-Mitarbeiter Lou Romano hörte, war er von ihm so begeistert, daß er ihn den Küchenjungen auch im fertigen Film sprechen ließ. Romano bringt genau die richtige Dosis von Schüchternheit und unbeholfenem Charme in die Figur, die manchmal ein wenig an Woody Allen erinnert und hauptsächlich von physischem Humor gepaart mit einer sympathischen Stimme getragen wird.
Remys Rattenclan besteht aus einer ganzen Menge von anonymen Nagern, von denen nur zwei namentlich hervortreten. Remys Bruder Emile ist eine verfressene Ratte ohne Geschmack und frißt so ziemlich alles, was ihm in die Finger kommt und ein loyaler Freund seines Bruders ist. Seine Stimme übernahm mit Animator Peter Sohn ein weiterer Pixar-Mitarbeiter, der aber seine Rolle genausogut wie ein Schauspieler spricht und wahrscheinlich auch Brad Bird auf einer temporären Aufnahme so gut gefallen hat, daß er in den fertigen Film übernommen wurde. Remys Vater und Clanboss Django ist der weise alte Mann des Gespanns, der aber kein Blatt vor den Mund nimmt und dank Schauspieler Brian Dennehey ganz nach elterlicher Autorität klingt.
Den Köchen in den Mund gelegt
Professionelles Kochen ist nicht nur in Frankreich fast überall noch Männersache, und Brad Bird hatte gerade deswegen die Köchin Colette in seinem Drehbuch von einer kleinen Nebenrolle zu einem Hauptcharakter befördert. Als einzige Frau in Gusteaus Küche ist Colette eine knallharte junge Dame, mit der nicht zu Spaßen ist und die sogar dem sonst ganz unerschrockenen Remy Angst einjagen kann - dafür war auch eine entsprechende Stimme notwendig, die von Janeane Garofalo übernommen wurde. Die Standup-Komikerin und Schauspielerin hatte mit früheren Rollen in Titan A.E. und The Wild schon einige Trickfilm-Erfahrung gesammelt und brachte genau den richtigen Pep in ihren sehr gesprächigen Charakter und weiß ihren rasanten Text mit viel Schwung und Elan herüberzubringen.
Auguste Gusteau war ursprünglich in den frühen Drehbuchversionen ein aktiver Charakter, der aber später von Brad Bird ins Jenseits befördert wurde, um der Handlung einen besonderen Kniff zu verleihen. Das bedeutete aber nicht die völlige Abwesenheit des schwergewichtigen Meisterkochs, der in Form seiner Fernsehauftritte und in Remys Visionen immer noch eine deutliche Präsenz im Film hat - sein Motto "Anyone can cook!" ist sogar so etwas wie ein Leitzsatz der Geschichte. Angelehnt wurde Gusteau wahrscheinlich an Bernard Loiseau, einen berühmten französischen Koch, der sich nach dem Verlust eines Sterns in einem der großen Restaurantführer tragischerweise das Leben nahm. Für Gusteaus Stimme wandte sich Brad Bird mit Brad Garrett an einen weiteren Standup-Comedian, dessen sonore Stimme mit A Bug's Life und Finding Nemo schon in zwei weiteren Pixar-Filmen zu hören war. In Ratatouille scheint er den 2004 verstorbenen Peter Ustinov zu channeln und hört sich fast wie dessen Auftritte als Hercule Poirot an.
Choleriker und Kritiker
Skinner ist der neue Küchenchef von Gusteaus und nicht zu verwechseln mit Principal Skinner aus den Simpsons oder Assistant FBI Director Walter Skinnder in The X-Files. Viel mehr ist der gar nicht sehr französisch klingende Name an den Verhaltensforscher B.F. Skinner angelehnt, der seine Experimente oft mit Ratten und Mäusen durchführte. Ratatouilles Skinner basiert vom Aussehen und verhalten aber auch auf einem der berühmtesten französischen Komiker: Louis de Funés, der 1966 in Le Grand Restaurant den tyrannischen Restaurantbesitzer Septime gespielt hatte und Ratatouilles Skinner gar nicht so unähnlich ist. Für seine Stimme konnte Brad Bird den rennomierten britischen Schauspieler Ian Holm gewinnen, der schon einmal in einem früheren Disney-Trickfilm mitgewirkt hatte, hier aber den cholerischen Skinner so ausgezeichnet spricht, daß man ihn kaum wiedererkennen kann.
Skinner ist eigentlich kein richtiger Bösewicht, denn die Rolle des wirklichen Antagonisten in der Geschichte von Ratatouille hat eigentlich der unbarmherzige Restaurantkritiker Anton Ego inne, die Brad Bird zu einem der bemerkenswertesten Charaktere des Films ausgebaut hat. Ego, dessen Büro im Grundriß wie ein Sarg aussieht und auch selbst den Eindruck eines Geiers macht, wurde ansatzweise nach dem französischen Schauspieler Louis Juvet gestaltet, aber für seine Stimme hatte Brad Bird schon von Anfang an eine eigentlich unerfüllbare Wunschbesetzung. Zur großen Überraschung aller konnten die Filmemacher aber doch den legendären irischen Schauspieler Peter O'Toole gewinnen, der noch nie zuvor in einem Trickfilm gesprochen hatte und verständlicherweise skeptisch war, aber erkannte daß es um ein anspruchsvolles Projekt und keinen billigen Kinder-Trickfilm ging. Sein wundervoll bissiger, zynischer und zum Schluß auch menschlicher Auftritt als Anton Ego, für den Brad Bird sogar einen schönen Schlußmonolog schrieb, ist das Sahnehäubchen auf einer fantastischen Besetzung und gibt Ratatouille einen unvergeßlichen Touch.
Das Problem der französischen Akzente wurde in Ratatouille bemerkenswert gut gelöst, wenn auch die Verteilung etwas ungewöhnlich ist. Aus nicht erklärten Gründen sprechen die Ratten, Linguini sowie Anton Ego als einzige Charaktere normales Englisch, wärend der Rest mehr oder wenige starke Akzente besitzt. Die Schauspieler schaffen es aber durchweg ihr frankophiles Englisch sehr ungezwungen und locker klingen zu lassen, zumal die meisten gar kein Französisch sprechen dürften - von Peter Sellers parodistischem Akzent als Inspector Closeau ist hier absolut nichts zu hören. Insbesonders Ian Holm spricht das "Motormouth" Skinner ganz beeindruckend, aber auch Janeane Garofalo, Brett Garrett und die anderen Schauspieler haben ihre Akzente so perfekt einstudiert, daß sie ganz natürlich klingen und überhaupt nicht unangenehm auffallen.
Pixars digitale Schlemmerküche
Obwohl für die Fertigstellung von Ratatouille nur knappe eineinhalb Jahre Zeit übrig waren, enthält der Film einige der faszinierensten CGI-Entwicklungen der letzten Jahre. Brad Birds The Incredibles hatte noch einen deutlichen Cartoon-Charakter, aber für Ratatouille setzte der Regisseur auf eine sehr realistische Szenerie, die an Echtheit kaum noch zu überbieten ist. Egal welche Umgebung, sei es das rustikale Bauernhaus zu Beginn des Films, die Wassermassen in der Kanalisation oder das gemütliche Pariser Restaurantviertel, alles sieht völlig natürlich und so wenig nach digitaler Animation aus, als ob die Hintergründe real gedreht worden wären. Das Highlight des Films ist natürlich die enorm detailreich ausgestattete Küche des Restaurants, in dem der größte Teil der Handlung stattfindet und mit so vielen Einzelheiten gespickt ist, daß man sie gar nicht alle auf einmal entdecken kann. Besondere Mühe haben sich die Animatoren außerdem mit der Gestaltung der Lebensmittel gegeben, die einen so echten Eindruck machen, daß einem oft beim Zuschauen buchstäblich das Wasser im Munde zusammenläuft.
Weil Menschen auch heute noch nur mit sehr großem Aufwand als Computeranimationen hundertprozentig realistisch machbar sind, wurden auch in diesem Film diesbezüglich keine große Anstrengung unternommen und stattdessen die menschlichen Charaktere mehr wie Karikaturen gestaltet. Dabei wurde allerdings nicht zu sehr übertrieben - allerdings ist schon der typische Pixar-Stil in den Gesichtern zu erkennen, die jedoch eine sehr ausgeprägte Mimik haben und so gar nicht so unrealistisch wirken. Gerade dadurch ist es eine Freude die Figuren zu beobachten, bei denen es genauso wie in der Szenerie eine Menge Details zu entdecken gibt - die Zeiten der kantigen, polygonverblockten Gesichter ist zum Glück schon lange vorbei.
Noch viel erstaunlicher ist allerdings die Gestaltung der Nagetiere in Ratatouille. Statt die Ratten stark zu vermenschlichen, ging Pixar einen ähnlichen Weg wie Dreamworks bei Over the Hedge und konzentrierte sich auf ein möglichst realistisches Aussehen. Kompromisse wurden unter anderem bei den Augen gemacht, die vorbildgerecht völlig schwarz nicht sehr ausdrucksfähig gewesen wären und der Einfachheit halber mit den gleichen Augäpfeln wie die Menschen ausgestattet wurden. Die Mimik der Ratten findet nicht nur mit Augen, Augenbrauen und Nase statt, sondern ist besonders bei Remy auf den gesamten Körper ausgedehnt worden, dessen Bewegungen dank der ausführlichen Recherchen so realistisch wie noch in keinem computeranimierten Trickfilm zuvor wirken. Ein riesiger technischer Fortschritt ist Pixar auch in der Modellierung der Felle gelungen, die nun zum anfassen echt aussehen und eine hohe Eigendynamik besitzen.
Chansons de Paris
Wäre Ratatouille nicht unter der Regie von Brad Bird entstanden, hätte die Filmmusik wahrscheinlich einer der drei Komponisten des Newman-Clans (Randy, David oder Thomas) verfaßt, aber der Regisseur wandte sich wieder an Michael Giaccino, der schon für The Incredibles eine ausgezeichnete Score komponiert hatte. Ratatouille brachte aber ganz neue Herausforderungen, denn es war nicht nur eine rasante, actiongeladene Musik gefragt, sondern auch ruhige Töne und ein besonderer Einfluß der Lokalitäten der Geschichte - all das und noch einiges mehr konnte Michael Giaccino auf eine fantastische Weise in seiner Score unterbringen, die zu der besten aller Pixar-Filme gehört.
Während die wenigen Actionszenen eine mehr oder weniger konventionelle orchestrale Musik eingesetzt wird, hat sich Michael Giacchino für den Rest des Films deutlich mehr einfallen lassen und eine Menge ohrwurmverdächtiger Melodien komponiert. Besonders gut gelungen ist die Instrumentierung mit einer kleineren Besetzung, für die Giacchino so hochkarätige Musiker wie den Mundharmonika-Spieler Tommy Morgan, Akkordionist Frank Marocco und Bassist Laboriel gewinnen konnte. Mit ihnen machte der Komponist aus seinen relativ simplen Themen swingende, jazzige Stücke mit kräftigem frankophilem Einfluß, die sich wie eine liebevolle Hommage an viele von Henry Mancinis Filmmusiken aus den sechziger Jahren anhören und den gleichen verspielten Charme besitzen - die Ähnlichkeit zu den Soundtracks von The Pink Panther und Charade, beides Filme die in Italien bzw. Frankreich spielen, ist unverkennbar.
In bester Tradition von Henry Mancini hat auch Michael Giacchino aus dem Hauptthema zusammen mit der französischen Sängerin Camille einen hervorragend gelungenen Chanson gemacht, der mit der gleichen bemerkenswerten Orchestrierung wie die Filmmusik aufgenommen wurde und nur französischen Text ohne Untertitel hat. Für einen amerikanischen Film ist das schon sehr ungewöhnlich und erstaunlich, daß die Studiochefs nichts dagegen hatten. Zwar ist der Text von Le Festin nicht unbedingt wichtig für die Handlung, aber die kleine Ode an ein geselliges Festmahl spielt dennoch für die besondere Stimmung des Films eine große Rolle. Der Chanson wird nur ein einziges Mal im Film eingesetzt und auch nicht im Abspann wiederholt, lediglich die Melodie wird vorher schon ein paarmal zitiert - durch den sparsamen Einsatz macht der Song aber einen noch faszinierenderen Eindruck.
Es ist angerichtet
Mit großen Anstrengungen gelang es Brad Bird und seinem Team Ratatouille doch noch pünktlich zur anvisierten Kinopremiere Ende Juni 2007 fertigzustellen. Schon ein Jahr zuvor wurde mit Pixars vorherigem Film Cars der erste Trailer veröffentlicht, der zwar für sich sehr interessant war, aber nicht viel über den eigentlichen Film aussagte und große Skepsis verursachte, die noch durch die Gerüchte über Jan Pinkavas Ablösung verstärkt wurden. Ein zweiter im März 2007 veröffentlichter Trailer konnte jedoch die meisten Zweifel an Ratatouille beseitigen, und im Mai des Jahres ging in den USA die Big Cheese Promotion Tour los, die die Vorstellung eines neunminütigen Filmclips mit Kochdemonstrationen verknüpfte und durch zehn amerikanische Städte führte.
Als Ratatouille schließlich am 29. Juni in den USA anlief, waren die Kritiker begeistert wie noch nie zuvor bei einem Pixar-Film. Durch den europäischen Flair und den reduzierten, viel subtileren Humor konnte Ratatouille beim amerikanischen Kinostart das Publikum aber nicht so gut überzeugen - es wurde einer der finanziell erfolglosesten Pixar-Premieren. Ratatouille spielte am Eröffnungs-Wochenende nur 47 Millionen Dollar ein, gegenüber Dreamworks' einen Monat zuvor angelaufenen Shrek The Third war dies erschreckend wenig und beigeisterte die Studiochefs angesichts der enormen Produktionskosten von 150 Millionen Dollar überhaupt nicht.
Im Laufe der nächsten Monate kam Ratatouille zwar noch auf etwa 200 Millionen Dollar in den USA, was aber auch noch weit unter den Erwartungen blieb. Das Blatt wendete sich erst, als die in vielen Ländern um fast vier Monate verzögerte internationale Kinopremiere mehr als doppelt soviel wie in den USA einspielte und Ratatouille damit doch noch zu einem ganz erfolgreichen Film machte, auch wenn zwei Drittel der Erträge von außerhalb der USA kamen - ein Verhältnis, das bei den vorherigen Filmen von Pixar fast umgekehrt war.
Ratatouille ist nicht nur für eine in letzter Minute gerettete Produktion ein ganz bemerkenswerter Film, sondern auch eine der besten computeranimierten Trickfilme der letzten Jahre, der die hochentwickelte Technik mit der Kunst des Geschichten-Erzählens perfekt kombinieren konnte. Brad Bird war es gelungen aus Ratatouille einen wundervoll charmanten Film zu machen, der sich ganz von üblichen Trickfilm-Klischees entfernt und dem man seine schwierige Entstehung überhaupt nicht anmerkt. Genauso wie The Incredibles ist Ratatouille weniger ein Pixar-Film als ein ganz eigenes Werk von Brad Bird, wobei man die Arbeit von Jan Pinkava allerdings auch nicht unterschätzen sollte, denn ohne ihn hätte es diesen Film nie gegeben.
Die DVD
Ratatouille wurde in den USA Anfang November als DVD und BluRay-Disc veröffentlicht - gerade einmal vier Wochen nach der europäischen Kinopremiere. Für ernsthafte Filmliebhaber lohnte sich ein Kinobesuch hier in Deutschland angesichts der schlechten Möglichkeit sich die englische Originalfassung anzuschauen kaum, aber die Einspielergebnisse wurden dadurch natürlich nicht ernsthaft beeinflußt. Trotzdem ist ein so später Kinostart außerhalb der USA heutzutage sehr selten und angesichts der Heimkino-Vermarktung auch nicht besonders klug.
Disneys und Pixars amerikanische DVD von Ratatouille wurde aber trotz der frühen Veröffentlichung zu einer großen Enttäuschung. Während Pixar dem vorherigen Film Cars aus Zeitmangel keine aufwendige Special-Edition spendiert hatte, wurden für Ratatouille doch einige Extras produziert, von denen allerdings die interessantesten, wie der Audiokommentar der Filmemacher, es erst gar nicht auf die DVD geschafft haben, sondern nur auf der BluRay-Ausgabe veröffentlicht wurden.
Für DVD-Käufer, die angesichts des Formatkriegs noch nicht auf HD-Equipment umgestellt haben, ist das nicht nur ein Wink mit dem Zaunpfahl, sondern ein Schlag ins Gesicht. Außerdem stehen Liebhaber von computeranimierten Trickfilmen sowieso zwischen den Fronten, weil Disney sich auf die Seite von BluRay geschlagen hat und Dreamworks Animation auf HD-DVD veröffentlicht - da ist es noch ärgerlicher, wenn einer DVD wie dieser Extras gegenüber der HD-Version vorenthalten werden. In Deutschland wird Ratatouille erst Mitte Februar 2008 erscheinen - angekündigt ist sogar eine Doppel-DVD, die allerdings auch keinen Audiokommentar und nur weitere kindergerechte Extras enthalten wird.
Trotz des unverschämten Bonusmaterial-Schwunds kann man der hier rezensierten amerikanischen Ratatouille-DVD eine ausgezeichnete technische Qualität bescheinigen, denn das erste Mal ist es Disney gelungen einen CGI-Trickfilm in der gleichen fantastischen Bildqualität wie bei der Konkurrenz auf eine DVD zu bekommen. Ein sehr schön gestaltetes Cover, leider nur als Pappschuber mit normalem Keepcase, und ein gelungenes Menüdesign würden diese DVD abrunden, wenn nur die Extras nicht so enttäuschend wenig wären. Von der US-DVD gibt es diesmal wenigstens keine separate Pan&Scan-Version, sondern nur eine Widescreen-Fassung, wobei das Bildformat nur mit dem Satz "Original Theatrical Aspect Ratio" auf dem Cover erwähnt wird - verkaufen kann man sich dadurch allerdings nicht.
|
|