Der Film
Ende der fünfziger Jahre hatte Jacques Tati mit seinen drei Filmen Jour de Fête, Les Vacances de Monsieur Hulot und ganz besonders Mon Oncle weltweite Anerkennung gefunden und galt als einer der innovativsten und originellsten europäischen Filmemacher. Für die Werbekampagne von Mon Oncle war der sonst sehr medienscheue Regisseur sogar in die USA gereist und wurde dort mit einem Oscar für den besten ausländischen Film belohnt, nachdem sein Film schon zahlreiche europäische Filmpreise gewonnen hatte. In Hollywood war man so begeistert, daß er von Warner ein Angebot bekam, einen Hulot-Film in den USA zu drehen, aber obwohl Tati der Idee nicht abgeneigt war, kam das Projekt nie zustande.
In Frankreich begann Jacques Tati an einer neuen Idee zu arbeiten, die er gemeinsam mit seinem langjährigen Kollaborateur Jacques Lagrange entwickelte. Schon in Mon Oncle hatte er sich mit dem Kontrast zwischen der hochtechnisierten modernen Welt und der altmodischen Vergangenheit beschäftigt, aber nun wollte er, angeregt durch seine Beobachtungen in den USA, noch einen Schritt weiter gehen und eine Odyssey durch eine futuristische Großstadt inszenieren. Sein Alter Ego Monsieur Tati wollte er eigentlich in Rente schicken, aber die enorme Beliebtheit seines Charakters brachte ihn dennoch dazu, ihn als roten Faden für seine neue Idee zu verwenden.
Tati No. 4
Unter dem Arbeitstitel Recreation, der später in Playtime umgetauft wurde, entstand ein Konzept, wie es bisher noch kein Filmemacher zuvor versucht hatte. Es war beinahe schon ein Experimentalfilm, den Jacques Tati im Sinn hatte, denn die Idee bestand hauptsächlich aus einer Reihe von Vignetten, die das Leben in einer Großstadt wie Paris beobachten sollten. Da das ursprüngliche Vorhaben, an Originalschauplätzen zu drehen, sich als viel zu unpraktikabel herausstellte, beschloß Tati, eine eigene Stadtkulisse zu bauen - ein Unterfangen, vor dessen enormen Kosten der Filmemacher von seinen Freunden und Mitarbeitern gewarnt wurde, aber ihn nicht davon abbringen konnten.
Sein früherer Produzent Fred Orain war nicht mehr mit dabei, produziert wurde der Film stattdessen von Bernard Maurice, der für Tati schon zuvor im Produktionsmanagement gearbeitet hatte. Tatis alter Freund Henri Marquet übernahm wieder seinen alten Posten als einer von vier Regieassistenten und als Kameramann konnte der Regisseur den ungarisch-französischen Jean Badal gewinnen. Der enorm wichtigen Job des Produktionsdesigners ging an Eugene Roman, der als Assistent von Henri Schmitt an den Sets von Mon Oncle mitgearbeitet hatte und nun dessen Erbe antrat. Die Finanzierung kam von verschiedenen Geldgebern, unter anderem von der italienischen Jolly Film - aber Tati ließ den Film hauptsächlich von seiner eigenen Firma Specta Film produzieren und tat schon zu Anfang das, was normalerweise kein Filmemacher wagen würde: eigenes Geld investieren.
Das Mammutprojekt
Anfang 1964 begannen die ersten Vorbereitungen für Playtime. Tati hatte von der Pariser Stadtverwaltung ein brach liegendes Gelände im Südosten der Stadt gepachtet, um dort ein eigenes Studio entstehen zu lassen. Im Laufe des Jahres wurden dort ganze Häuser aus dem Boden gestampft und zwei riesige Sets mit Ausmaßen von 120 mal 25 Metern errichtet. Fünfzehn Meter hohe Fassaden aus Plexiglas auf rollbaren Fundamenten wurden eingesetzt, um die futuristischen Häuserschluchten zu simulieren. Produktionsdesigner Eugene Roman hielt sich strikt an die detaillierten Wünsche von Jacques Tati, der ihm zuerst zwar ausführliche Designs, aber noch gar keinen Plot eröffnet hatte. Im Laufe des Jahres entstanden in den ersten rudimentären Kulissen, in denen Tati erste Probeaufnahmen machte.
Um die aufwendigen Sets, die zu den damals größten Filmkonstruktionen Europas gehörten, auch entsprechend in Szene setzen zu können, hatte sich Jacques Tati dazu entschieden, seinen Film im 70mm-Format zu drehen. Dabei kam es ihm nicht auf Breite, sondern auf Größe und Auflösung an, denn der Filmemacher hielt nichts von Nahaufnahmen und wollte seine gewaltigen Kulissen als Ganzes aufnehmen. Ausprobiert hatte er dies schon in Mon Oncle, aber normaler 35mm-Film reichte für die riesigen Dimensionen der Sets nicht mehr aus. Ein weiterer Grund für das großformatige System war sein Wunsch nach einer stereophonen Tonabmischung mit sechs Kanälen, die damals nur auf 70mm-Film möglich war.
Playtime Story
Jacques Tati hatte den nur in ganz rudimentären Zügen vorhandenen Plot seines neuen Films in sechs große Abschnitte eingeteilt, die alle in etwa 24 Stunden stattfinden. Diese bestanden aus der Ankunft einer Gruppe amerikanischer Touristen am Flughafen, Monsieur Hulots Verirrungen in einem Bürogebäude, in dem er in eine Handelsmesse läuft, die auch von den Touristen besucht wird. Abends trifft Hulot einen alten Freund, der ihn in sein ultramodernes Apartment auf einen Drink einlädt und wird schließlich von einerm anderen Freund in einen neu eröffneten Nachtclub gezerrt, wo er einige Leute trifft, die ihm schon zuvor begegnet sind - darunter eine junge Touristin, die im Laufe des Films immer wieder versucht, aus ihrer Tourgruppe auszubrechen. Am nächsten Tag schafft er es noch so gerade, ihr ein kleines Abschiedsgeschenk zu kaufen, bevor sie in ihren Bus steigen muß und im Chaos eines Kreisverkehrs unterwegs ist.
Obwohl Jacques Tati Hulot zu einem roten Faden des Films gemacht hat, ist sein Monsieur Hulot nicht wirklich die Hauptfigur der Geschichte. Man spürt deutlich, daß Tati seinem Alter Ego überdrüssig geworden war - er narrt den Zuschauer sogar mit einer Reihe von Doppelgängern, die er besonders zu Beginn des Films strategisch plaziert hat. Der echte Hulot taucht erst nach einer knappen Viertelstunde auf und ist eigentlich nur in der Hälfte des Films überhaupt dabei. Tati überließ das Feld stattdessen den zahllosen Nebenfiguren, die er größtenteils mit Laiendarstellern besetzt hatte. Es ist eine sehr demokratische Besetzung, in der niemand wirklich im Vordergrund steht und Szenen immer von einem mehr oder weniger großen Ensemble getragen werden.
Im Prinzip gibt es keine Hauptdarsteller, aber einige wenige Rollen fallen in Playtime besonders auf. Dazu gehört unter anderem auch Barbara Dennek, die ganz unbefangen und locker die amerikanische Touristin spielt, die neben Hulot der einzige Charakter ist, der im gesamten Film präsent ist. Während Barbara Dennek überhaupt keine Schauspielerin war, sondern Tati Jahre zuvor als Au-Pair-Mädchen seiner Nachbarn kennengelernt hatte, wurden die meisten größeren Rollen doch von professionellen Schauspielern übernommen. Dazu gehören Yves Barsacq als Hulots aufdringlicher Bekannter, Georges Montant als Monsieur Giffard, hinter dem Hulot in der ersten Hälfte des Films her ist, Billy Kearns als der laute Amerikaner und Reinhard Kolldehoff als deutscher Geschäftsmann in der Messe-Szene
Tatis eigene Stadt
Als im April 1965 die Dreharbeiten begannen, hatte die Konstruktions-Crew wahrhaft eine ganze Stadt gebaut. Zwei komplette Bürogebäude mit mehreren Stockwerken, Rolltreppen und sogar Fahrstühlen waren nur ein teil des riesigen Komplexes, das neben den rollbaren Hochaus-Kulissen auch ein eigenes Straßen-System mit Ampeln und Laternen und viel, viel Auto- und Busverkehr umfaßte. Tati hätte diese Szenen im echten Paris drehen können, aber dort hätte er kaum soviel Kontrolle ausüben können, wie es ihm mit seiner Simulation möglich war. Tativille war ein Projekt, der von vielen anderen Filmemachern als völlig verrückt angesehen wurde, aber eine grandiose Wirkung hatte - noch nie war ein Großstadtdschungel so dynamisch und perfekt in Szene gesetzt worden.
Tatis künstliches Paris hat bis auf eine handvoll Reflektionen von Wahrzeichen in gläsernen Türen nicht viel mit der wirklichen Stadt zu tun und steht eigentlich für jede anonyme Großstadt. Das rigoros desaturierte Farbschema, das praktisch nur aus Grautönen besteht, gibt zusammen mit den gläsernen Fassaden den Kulissen ein völlig lebloses und unwirtliches Aussehen, an das sich die Menschen mit ihrer auch größtenteils farblosen Kleidung anpassen zu scheinen. In jeder Szene hatte Tati nur einzelne Farbkleckser platziert und damit fast sein ursprüngliches Vorhaben umgesetzt, in Schwarzweiß zu drehen und per Hand einzelne Bildteile einzufärben.
Großstadtfieber
Lebendig sind in diesen Beton- und Glaswüsten, in denen auch keinerlei Vegetation zu sehen ist, nur die Menschen, denen Tati wie in seinen vorherigen Filmen mit der Kamera aus einer mittleren Distanz völlig passiv zusieht. Playtime wirkt oft beinahe wie eine Dokumentation, die das Leben dieser seltsamen Stadttiere beobachtet, ohne ihnen allzu nahe zu kommen. In dieser Szenerie hatte Tati seine zahllosen aufwendigen kleinen und großen Gags inszeniert, die manchmal nur einen kleinen Augenblick lang waren, aber auch über zehn Minuten oder mehr vorbereitet wurden. Die Komplexität des Humors, der ausschließlich non-verbal bleibt, nimmt im Laufe des Films immer mehr zu und hat ihren Höhepunkt in der vielschichtigen, fast dreiviertelstündigen Restaurant-Sequenz, für deren detailliert choreographiertem Chaos hauptsächlich Monsieur Hulot verantwortlich zu sein scheint.
Schon seine früheren Filme waren in Sachen Geräuschkulisse und Musik sehr komplex, aber mit Playtime hatte Jacques Tati etwas noch viel aufwendigeres vor. Die Musik wurde hauptsächlich von Francis Lemarque komponiert, dessen eingängiges Titelthema zu Beginn des Films unter den Credits erst als nervöses Jazz-Arrangement zu hören ist und dann in eine fast schon süßliche orchestrale Variante übergeht. Weitere Filmmusik im klassischen Sinn wurde aber nur an wenigen Stellen eingesetzt, denn alles andere ist sogenannte Source Music, die im Film selbst gespielt wird - dazu gehört vor allem die Musik in der langen Restaurant-Sequenz, die hauptsächlich von zwei unidentifizierten Bands gespielt wurde. Dicht mit der Musik verflochten ist die enorm detailreiche Geräuschkulisse, die Jacques Tati zusammen mit Toningenieur Jacques Maumont, einem alten Bekannten aus der Crew von Jour de Fete, in mühsahmer Kleinarbeit komplett im Tonstudio aufgenommen. Die nicht nur für damalige verhältnisse sehr moderne Abmischung mit fünf Kanälen hinter der Leinwand war ihrer Zeit weit voraus und ein ganz integraler Bestandteil des Films.
La Folie de Monsieur Tati
Playtime war eine komplizierte und schwierige Produktion, die von mehreren Katastrophen heimgesucht worden war. Im Sommer 1965 wurde ein Teil der teuren Kulisse von einem Sturm zerstört und Jacques Tatis detailverliebte Arbeitsweise, die die Dreharbeiten oft aufhielt und immer teurer machte, forderte auch bei der Filmcrew Opfer. Kameramann Jean Badal warf nach der Hälfte der Drehzeit das Handtuch und Tati mußte ihn mit Andréas Winding ersetzen, genauso wie einer der Regieassistenten, Jean Lefebvre, nach einiger Zeit durch Nicolas Ribowski abgelöst wurde. Mit 365 geplanten Drehtagen, die sich zum Schluß über drei Jahre erstreckten, war es eine der längsten Produktionen der französischen Filmgeschichte und manche fragten sich, ob Tati seinen Film jemals fertigstellen würde.
Das größte Problem für Jacques Tati war aer das ständig steigende Budget. Als die finanziellen Mittel immer knapper wurden, machte der Filmemacher selbst bei den Banken Schulden und verpfändete fast sein gesamtes Hab und Gut und sogar die Rechte an seinen früheren Filmen, um Playtime zu retten. Die Dreharbeiten konnten schließlich Ende 1966 abgeschlossen werden, aber bis Tati seinen Film wirklich fertiggestellt hatte, dauerte es noch ein dreiviertel Jahr, denn die Postproduktion war nicht nur durch den Filmschnitt, sondern auch durch die aufwendige Tonmischung sehr arbeitsaufwendig. In neun Monaten hatten Jacques Tati und sein Team Playtime schließlich fertigstellen und noch gerade zur Weihnachtssaison 1967 in die französischen Kinos bringen können. Während der Dreharbeiten war außerdem der Kurzfilm Cours du Soir entstanden, in dem Tati mit viel Genuß als Abendkurs einige seiner alten Comedy-Routinen darbot.
Debakel oder Meisterwerk?
Die Premiere am 16. Dezember 1967 wurde groß gefeiert und die Kritiker waren von Jacques Tatis neuem Film begeistert, aber seine Entscheidung, Vorführungen ausschließlich in 70mm zu erlauben, erwies sich als das größte Problem. Playtime lief deshalb nur in wenigen französischen Kinos und die Einspielergebnisse waren so niedrig, daß sie noch nicht einmal ansatzweise die hohen Kosten von etwa 15 Millionen Francs wieder einholen konnten. Erst im Laufe des Jahres 1968, als sich für Tati auch persönlich immer mehr ein finanzielles Debakel abzeichnete, hatte der Filmemacher seine ursprüngliche 152-minütige Schnittfassung auf 124 Minuten gekürzt und auch den Einsatz von 35mm-Kopien mit Mono-Ton erlaubt.
Jacques Tatis Pressescheuheit und eine zu zaghafte Marketingkampagne führten aber trotz der ausgedehnteren Aufführungen in Frankreich und ab Sommer 1968 auch in England, Deutschland und anderen europäischen Ländern zu keinem großen finanziellen Erfolg. Das größte Problem war, daß Playtime keinen Verleih in den USA fand, einem Markt für den sich Tati besonders große Hoffnungen gemacht und ähnlich wie bei Mon Oncle eine alternative Tonspur mit mehr englischen Dialogen produziert hatte. Für die amerikanischen Distributoren war Playtime ein Rätsel, mit dem sie nichts anzufangen wußten und auch die europäischen Verleihe gingen mit dem Film nicht zimperlich um und kürzten die von Tati schon selbst gestraffte 124-minütige Version noch weiter herunter. In England war Playtime immerhin noch 114 Minuten lang, aber als sich 1973 doch noch ein amerikanischer Verleih fand, wurde nur eine 35mm-Version mit 103 Minuten Länge gespielt - fast fünfzig Minuten kürzer als Tatis Premierenfassung.
Niedergang und Aufstieg
Wie Jacques Tati selbst auf den finanziellen Reinfall von Playtime und die damit verbundene persönliche Pleite reagiert hatte, ist kaum überliefert. Der Filmemacher hatte nicht nur sein gesamtes Vermögen, sondern auch seine eigenen Werke verloren, die für nur 100.000 Francs an einen italienischen Investor versteigert wurden. Gefreut haben muß ihn allerdings, daß trotz der schlechten Publikumsreaktionen Playtime von den meisten Kritikern als Meisterwerk gefeiert wurde, auch wenn viele den Film nur in stark verstümmelten Fassungen zu sehen bekamen. Der nur sehr rudimentäre Plot und der Umstand, daß viele Leute eine Nonstop-Hulot-Comedy erwartet hatten, waren möglicherweise für das Publikum von 1967 einfach zu anspruchsvoll. Tati drehte nach Playtime nur noch zwei weitere Filme: Trafic, eine bissige Satire auf die Automobilindustrie und der letzte Auftritt von Monsieur Hulot, sowie den Zirkusfilm Parade.
1977 hatte jedoch ein Investor namens Nino Mollesena del Monaco die Rechte an Tatis Filmen gekauft, um gemeinsam mit den Schuldnern Panoramic Films zu gründen und dem Filmemacher damit einen Teil der Rechte an seinen Filmen zurückzugeben. Aber auch nach seinem Tod 1982 blieb Playtime nur in stark gekürzten Fassungen erhalten. Die 152-minütigen Urversion war verloren gegangen, weil Tati das Original-Negativ gekürzt hatte, das bis in die siebziger Jahre aus Kostengründen noch verwendet wurde, um Kinokopien herzustellen. Erhalten war aber Tatis eigene finale Schnittfassung, die 124 Minuten lang war und als Kameranegativ existierte, aber in den achtziger Jahren gab es nur noch wenige spielbare 70mm-Kopien des Films und die 35mm-Kopien waren zum Teil stark gekürzt. Mit zunehmendem Alter des Films gab es aber kaum Möglichkeiten, ihn noch in einer vom Regisseur gewünschten Version zu sehen.
Rettung in letzter Sekunde
Erst Ende der neunziger Jahre gelang es Tatis Tochter Sophie Tatischeff eine Restauration in die Wege zu leiten, als sie während der Produktion ihres Films Le Comptoir den Restaurator Jean-Rene Falliot kennengelernt hatte, der in seinem Arane-Guilliver-Labor die Möglichkeit hatte, mit 65mm-Film zu arbeiten. Mitte 1998 wurde das Kameranegativ gesichtet, dessen Zustand nicht so schlimm war, wie zuerst befürchtet wurde, aber eine Restauration war trotzdem umumgänglich, denn neue Kopien konnte man davon nicht mehr so einfach anfertigen. Immerhin konnte das fast komplette Negativ der 124-minütigen Version gefunden werden, aber bis eine Finanzierung der Restauration gesichert werden konnte, verging noch einige Zeit. Währenddessen hatte das Filmlabor allerdings eine noch bessere Ausrüstung anschaffen können, wodurch die Restauration von Playtime technisch gesichert war.
2001 wurde von einer Gruppe von Tatis Verwandten und Nachfahren, darunter Sophie Tatischeff, Jerome Deschamps und Macha Makeieff, Les Films De Mon Oncle gegründet, um den Nachlass des Filmemachers zu verwalten und zu restaurieren. Das erste Projekt war Playtime, für das die Tati-Erben finanzielle Unterstützung unter anderem von Universal und dem französischen Energiekonzern Primagaz gewinnen konnten. Die Leitung übernahm wieder Francois Ede, mit dem Sophie Tatischeff schon 1995 Jour de Fete restauriert hatte und die fotochemische Restauration übernahm wie Ende der neunziger Jahre vorgeschlagen Jean-Rene Falliot mit seinem Filmlabor. Einige Szenen mußten allerdings digital überarbeitet werden, was von der französischen Firma Mikros Image und in den USA von Imagica realisiert wurde.
Die Cannes-Überraschung
Das Ziel, den Film in seiner komplett restaurierten 124-minütigen Fassung auf dem Cannes Film Festival zu zeigen, konnte tatsächlich erreicht werden. Nach einer vorsichtigen Wetgate-Umkopierung des Kameranegativs, einem sorgfältigen Farbtiming und der zusätzlichen Restaurierung war ein neues 65mm-Interpositiv entstanden, von dem neue 70mm- und 35mm-Negative erstellt wurden, von denen schließlich die neuen Vorführ-Kopien erstellt werden konnten. Eine kleiner Teil des Films blieb allerdings weitgehend unrestauriert: die Titelsequenz, für die nicht alle separaten Hintergründe gefunden werden konnten. Letztendlich wurde entschieden, die leicht angekratzte und sehr körnige Szene einfach so zu belassen, um die fantastische Qualität der neuen Restauration erst richtig zur Geltung kommen zu lassen. Auch der Ton wurde restauriert und Tatis ursprünglicher Mix mit fünf Frontkanälen hinter der Leinwand ohne Surround und Subwoofer originalgetreu rekonstruiert.
Am 19. Mai 2002 wurde die neue Restauration von Playtime auf dem Filmfestial von Cannes zur großen Freude der Zuschauer uraufgeführt. Tragischerweise erlebte Tatis Tochter Sophie diese Premiere nicht mehr, denn sie war im Oktober 2001 verstorben, muß aber die ersten Ergebnisse noch gesehen haben - ohne ihre Mitarbeit wäre die Restauration von Playtime möglicherweise nie zustande gekommen. Es war zwar nicht gelungen, Jacques Tatis schwierigsten, aber auch interessantesten Film in seiner langen Urfassung wieder herzustellen, aber immerhin konnte die letzte vom Regisseur selbst erstellte Schnittfassung für die Zukunft vorbereitet werden. Nach der Cannes-Premiere wurde Playtime wieder in die französischen Kinos gebracht, allerdings blieb es bei zwei 70mm-Kopien, zu denen zusätzlich noch 28 35mm-Kopien im Einsatz waren. Auch in anderen Ländern war Playtime wieder im Kino zu sehen und ab 2005 wurde die neu restaurierte Fassung auch als DVD und später als Blu-Ray veröffentlicht. Monsieur Hulots Odyssey konnte seine Odyssey wieder antreten.
Die DVD
Eine DVD-Veröffentlichung von Playtime gab es 2001 erstmals in den USA, als die Criterion Collection den Film zusammen mit Les Vacances de Monsieur Hulot und Mon Oncle herausgebracht hatte. Richtig restauriert und rekonstruiert wurde Playtime aber erst 2002, so daß die Criterion-DVD noch auf einer unvollständigen Fassung mit verhältnismäßig schlechtem Bild basierte. 2004 waren in England und Deutschland neue DVDs der restaurierten, etwas längeren Fassung erschienen, die aber auch noch keine optimale Bildqualität hatten und noch keinen Stereo-Ton besaßen. Erst 2006 erschien mit der Neuauflage von Criterion ein besserer Transfer der restaurierten Fassung von Playtime mit Stereo-Ton, die 2009 auch als BluRay veröffentlicht wurde. Das BFI zog erst Ende 2010 mit einer Neuauflage nach, die sogar als DVD-BluRay-Doppelpack erschien.
Die hier rezensierte DVD stammt aus dem im November 2010 in England veröffentlichten DVD/BluRay-Set vom British Film Institute, das das gleiche HD-Bildmaster wie die Criterion-Veröffentlichung verwendet und sich qualitativ kaum von dieser unterscheidet. Es wurden alle Extras der vorherigen BFI-DVD übernommen, die zumindest einem Teil des Bonusmaterials von der Criterion-DVD entsprechen. Da die Criterion-DVD inzwischen wieder out-of-print ist und das Preis-Leistungsverhältnis des BFI-Doppelpacks unschlagbar ist, sollte man auf jeden Fall zu der britischen Ausgabe greifen.
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