Der Film
Carl Fredericksen bereut nach dem Tod seiner Frau Ellie, daß sie es nie geschafft haben, sich ihren Lebenstraum zu erfüllen nach Paradise Falls in Südamerika zu ziehen. Als Carl die Einweisung in ein Altersheim droht, greift er zu drastischen Maßnahmen und hängt sein Haus an Hunderten von Ballons auf, um sich in letzter Sekunde aus dem Staub zu machen. Gerade als er Kurs nach Süden genommen hat, klopft es an der Tür und ein Pfadfinder namens Russell, der aus Versehen zum blinden Passagier wurde, stürzt in Carls fliegendes Wohnzimmer...
Pixar ist ein Animationsstudio mit gespaltener Persönlichkeit. In den letzten fünfzehn Jahren viele höchst unterschiedliche Produktionen entstanden, die sich in zwei grobe Kategorien einteilen lassen: echte Pixar-Filme und diejenigen, die von Disney beeinflußt wurden. Zu letzteren gehören vor allem die Frühwerke Toy Story, Toy Story 2 und A Bug's Life sowie Finding Nemo und Cars, während Pixar mit Monster's Inc., sich erstmals von den Wurzeln der Muttergesellschaft lösen konnte und in den folgenden Jahren mit The Incredibles, Ratatouille und WALL-E einen brillianten kreativen Höhepunkt erreicht hatte. Leider hat das Studio mit Up eine Kehrtwende um 180 Grad vollführt, die Pixar wieder mitten auf die Disney-Spielwiese zurückgebracht hat.
Pixars seltsamer Höhenflug
Das Konzept von Up geht vermutlich nicht ganz soweit zurück wie die vorherigen Filme von des Studios, dürfte aber auch schon ein gutes halbes Jahrzehnt in der Schublade gelegen haben. Um 2004 soll die Entwicklung des Drehbuchs begonnen haben, als Pixar-Urgestein Pete Docter sich Gedanken über einen neuen Film machte und auf die Idee kam, endlich einmal eine Geschichte zu inszenieren, in der ein Rentner die Hauptrolle spielt. Es sollte die Geschichte eines griesgrämigen Ballonverkäufers werden, der mit Hilfe seiner Ware aus dem Alltag flüchtet und dabei kurzerhand sein geliebtes Haus mitnimmt. Diese wundervolle Idee wäre ein brilliantes Konzept für einen Kurzfilm gewesen, aber Pete Docter hatte sich von den Disney-Veteranen Frank Thomas, Ollie Johnston und Joe Grant Rat geholt, die ihn ermunterten, die Geschichte zu erweitern.
Zusammen mit Bob Peterson schrieb Peter Docter die Geschichte von Carl Fredericksen, die zwar mit der ursprünglichen Idee der Ballon-Flucht beginnt, sich aber dann in ein konfuses und unzusammenhängendes Abenteuer verzweigt, das den Eindruck macht unter dem Druck entstanden zu sein, einen 3D-Film produzieren und der seichten Disney-Ideologie entsprechen zu müssen. Tatsächlich erinnern die meisten Elemente der letzten zwei Drittel des Films an die klassischen Trickfilme des Studios - die Einbeziehung eines jugendlichen Protagonisten und einer Heldenfigur, die sich als Antagonist entpuppt sowie die sprechenden Hunde und lustige Vögel sind nicht gerade besonders originelle Ideen. Die viel zu sehr in die länge gezogene Handlung hat nicht soviel zu erzählen, wie sie vorgibt und mehrmals geht dem Geschichte die Puste aus, nur um noch einmal mit einer neuen Sequenz zu beginnen, die hauptsächlich aus dem nächsten 3D-Spektakel besteht.
Die Geschichte eines Lebens
Up möchte unbedingt ein emotionaler und seriöser Film sein, was ihm zu Anfang auch recht gut gelingt. Die Montage von Carl und Ellies Eheleben geizt aber nicht gerade mit Klischees und drückt kräftig auf die Tränendrüse, ohne dabei jedoch wirklich ehrlich und lebendig zu wirken - dazu ist die Sequenz zu künstlich und kalkulierend. Leider serviert der Film dem Zuschauer seinen Hauptprotagonisten schon zu Beginn auf einem silbernen Tablett und verpaßt dadurch die Chance, im Laufe der Handlung mehr über ihn herauszufinden. Stattdessen wird Carl in einer seltsamen Metarmorphose von einem alten Griesgram, der die Treppe in seinem Haus nur mit einem Fahrstuhl bewältigen kann, zu einem geriatrischen Superhelden und findet in seinem unfreiwilligen Mitreisenden den Nachwuchs, den er selbst nie gehabt hat.
Eigentlich hätte die Handlung an dem Punkt zu Ende sein müssen, an dem Carl mit seinem Haus abhebt, denn genau an dieser Stelle hört auch der beste Teil der Geschichte aus. Danach geht die Reise nicht nur nach Paradise Falls, sondern auch direkt nach Disneyland, denn der Rest des Films besteht nur noch aus einer Sammlung von uninspirierten Abenteuer-Sequenzen, die mit halbfertigen Ideen vollgestopft sind. Es ist ein einziges Kuddelmuddel, das sich bei The Wizard of Oz, African Queen und sogar Jules Verne bedient, aber kein wirklich einheitliches Konzept hat. Die Filmemacher wollten sich offenbar an die wundervollen Märchen des japanischen Animators Hayao Miyazaki anschließen, der in den USA von Studiochef John Lasseter bekannt gemacht wurde, aber Pixar ist leider noch lange kein Studio Ghibli.
Das grosse Durcheinander
Der Film kann sich nicht so recht zwischen Slapstick, Drama und Action entscheiden und ist nur selten wirklich witzig. Insgesamt sind die Ideen des Films sogar ziemlich konservativ und haben nichts wirklich Neues zu bieten - gelegentliche Anfälle von Originalität werden schnell von doppelt so vielen Klischees überrannt. Die unterliegende Moral der Geschichte besteht ausschließlich aus rein amerikanischen Werten und proklamiert die Wichtigkeit einer Vaterfigur in der Familie und die magische Beziehung von Kindern zu Senioren - schwere Themen für einen Film, der hauptsächlich fürs jüngere Publikum gedacht sein soll. Die beiden Regisseure und Autoren haben beim Schreiben ihres Drehbuchs nur wenig Disziplin besessen und soviele Ideen wie nur möglich hineingestopft - hier hätte es eine Kontrolle außerhalb der Pixar-Gang geben müssen, denn jemand wie Brad Bird wäre mit so einem Script längst nicht zufrieden gewesen.
Muntz' Jagd nach dem Riesenvogel ist zum Beispiel deutlich bei Vernes Lost World abgekupfert, aber wenigstens haben Pete Docter und Bob Peterson auf Dinosaurier verzichtet und dies ihren Kollegen von Blue Sky überlassen. Stattdessen hat man es in Up mit einem kinderfreundlich angelegten Pack von Hunden zu tun, deren besondere Fähigkeit zu sprechen als einmaliger Gag funktioniert hätte, aber auf Dauer sehr ermüdend ist. Genauso wirkt auch das ständige Herumgezappel des Paradiesvogels auf den ersten Blick durchaus faszinierend, wird aber ähnlich wie die Hundeschar schnell zu einer nervigen Sache, die viel zu stark überstrapaziert wird. Zwar soll die Geschichte im Prinzip ein Märchen sein, aber dafür ist die Gestaltung des Films zu realistisch und die Handlung nimmt sich viel zu ernst, so daß die Glaubwürdigkeit der Handlung auf der Strecke bleibt.
Der alte Mann und das Haus
Während die Handlung des Films nicht allzuviel zu bieten hat, sind wenigstens die Charaktere für eine Pixar-Produktion recht gut entwickelt, auch wenn noch viel mehr mit ihnen möglich gewesen wäre. Carl Fredericksen ist ein liebevoll beobachteter, aber manchmal auch etwas zu dramtischer Querschnitt eines typischen Seniors, für den sich die Filmemacher mit Sicherheit auch bei ihren eigenen Familien und Verwandten orientiert hatten. Carls Stimme Ed Asner dürfte auch ein Vorbild gewesen sein, denn der fast achtzigjährige Kino- und Fernseh-Veteran ist in der Rolle des griesgrämigen Rentners einfach wundervoll und man merkt, daß er auch schon jede Menge Erfahrungen als Trickfilm-Sprecher hat. Vorwerfen kann man Asner allerhöchstens, daß er seinen Charakter nicht fies genug angelegt hat - Carl ist beinahe sogar ein recht zahmer Vertreter seiner Spezies und die Filmemacher waren offenbar darauf bedacht, ihn nicht zu unsympathisch wirken zu lassen.
Erst relativ spät zur Handlung hinzugefügt wurde der pummelige Junior-Pfadfinder Russell, der auf den ersten Blick den Eindruck eines einzigen großen Klischees macht und lediglich als Identifikationsfigur für die jüngeren Zuschauer da zu sein scheint. Natürlich ist das auch eine Absicht der Filmemacher, die aber erfreulich in den Hintergrund rückt - stattdessen ist Russell eine erstaunlich realistische Repräsentation eines ganz normalen Kinds, bei dem auf simple Stereotypen weitgehend verzichtet wurde. Warum die Filmemacher sich dazu entschieden hatten aus ihm einen übergewichtigen US-Asiaten zu machen, ist nicht wirklich nachvollziehbar, da gerade diese Themen kaum eine Rolle spielen. Für seine Stimme hatten die Filmemacher den neunjährigen Jordan Nagai aus einer Menge von 400 Kindern ausgesucht und dabei gutes Gespür bewiesen, denn er spricht Russell mit einer entwaffnenden Natürlichkeit, die man nur selten bei Schauspielern dieses Alters beobachten kann.
Fast kein Pixar-Film kommt ohne einen handfesten Bösewicht aus und Up ist keine Ausnahme - jedoch haben Pete Docter und Bob Peterson gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen und Held und Antagonist in einer Person vereint. Charles Muntz ist beides - einerseits der grosse Entdecker, der der eigentliche Anlass für die Geschichte des Films ist, aber auch ein verbitterter alter Egomane, der auf der Jagd nach seinem Lebenstraum dem Wahnsinn verfallen ist. Er wirkt ein bißchen schizophren, denn das Drehbuch schaltet den Charakter so abrupt um, daß es auch zwei Figuren hätten sein können. Imposant wirkt Muntz aber trotzdem, was nicht zuletzt auch seiner Stimme zu verdanken ist, für die die Filmemacher mit Christopher Plummer eine richtige Schauspieler-Legende engagieren konnten.
Pixars bunte Welt
So schwach wie die Handlung von Up ist, so brilliant ist die technische Umsetzung, denn der Film ist ein optisches Wunderwerk geworden. Pete Docter und Bob Peterson hatten mit ihrem Team nicht umsonst eine Expedition nach Venezuela gestartet, um sich von dem geplanten Schauplatz selbst ein Bild machen zu können. Dadurch haben die computergenerierten Kulissen eine beeindruckende Realität erreichen können und machen fast den Eindruck, als ob die Szenerie aus Realaufnahmen bestehen würde, die mit den CGI-Charakteren kombiniert wurden. Vegetation und Geologie sehen zum anfassen echt aus und auch die anderen Kulissen wie Carls Haus und Muntz' Zeppelin können mit einer ganz besonderen Lebendigkeit aufwarten und sind mit einer riesige Fülle von Details ausgestattet, in denen es eine Menge zu entdecken gibt.
Gewöhnungsbedürftig ist dagegen die Gestaltung der Protagonisten, die deutlich cartoonisiert wurde und einen überdeutlichen Symbolcharakter hat: während Carls Gesichtszüge genauso eckig wie sein Haus sind, erinnert Ellie mehr an einen Ballon und Russell ist sowieso rund wie ein Ei - ihn haben die Filmemacher offenbar direkt von den groteskverfetteten Menschen in WALL-E abgeleitet. Das Charakter-Design ist im Vergleich zur detailreichen Kulisse und sogar den Tieren überraschend simpel, hat aber bei aller "Klunkifizierung", wie die Pixar-Animatoren ihren Stil manchmal nennen, auch eine Menge Details zu bieten, die trotz der seltsamen, übertriebenen Formen den Figuren viel Leben einhauchen. Am realistischsten sieht jedoch mit der Ausnahme des ebenfalls ziemlich cartoonisierten Dug das Hunderudel aus und auch der urzeitliche Riesen-Paradiesvogel macht einen durchweg natürlichen Eindruck. Allerdings bekommt man ansonsten kaum andere Tierarten zu sehen, wodurch der venezuelanische Dschungel trotz der beeindruckenden Vegetation enttäuschend leer ist.
Erstaunlicherweise wurde Up nicht im breiten 2.35:1 Scope-Bildformat produziert, das angesichts der beeindruckenden Szenerie vielleicht besser geeignet wäre, sondern im herkömmlichem 1.85:1. Es ist der erste Pixar-Film seit Finding Nemo, der wieder dieses Format verwendet, was möglicherweise etwas damit zu tun hat, daß viele Kinos für Scope-Projektionen die Leinwände oben und unten kaschieren und so bei 1.85:1 mehr Leindwandfläche genutzt wird - ein Faktor, der besonders bei 3D-Projektion eine große Rolle spielen dürfte und bei Up wohl für das "höhere" Format gesorgt hat.
Luftige Melodien
In Sachen Filmmusik hatten sich Pixar in der Vergangenheit ausschließlich auf die beiden Newman-Cousins Randy und Thomas verlassen, aber 2005 hatte Brad Bird für The Incredibles erstmals mit Michael Giacchino einen völlig studiofremden Komponisten engagiert und damit völlig neue Klänge eingebracht. Auch für Up hatte der vielseitige Filmmusiker wieder einen ganz besonderen Sound geschaffen, der eine gekonnte Mischung aus verspieltem 30er-Jahre-Jazz, luftigen Salsa-Rhythmen und einer ausgewachsenen orchestralen Score ist, die sich an den Abenteuerfilmen der fünfziger Jahre orientiert. Von leisen, vom Klavier dominierten Melodien über feine Jazzwalzer bis zu bombastischen Orchesterklängen ist alles dabei, allerdings basiert ein großer Teil davon nur auf zwei Themen, die immer wieder in dutzenden verschiedenen Arrangements zu hören sind. Dennoch ist es eine bemerkenswert gut gelungene Filmmusik, mit der Michael Giacchino nahtlos an seine beiden vorherigen Pixar-Arbeiten anknüpft.
Auf die Anreicherung der Filmmusik mit vorhandenen Songs wurde wie bei Pixar üblich vernünftigerweise verzichtet, obwohl vielleicht ein bißchen Cole Porter oder George Gershwin durchaus passend gewesen wären. Für den Abspann hat sich Michael Giacchino zusammen mit den Filmemachern aber einen kleinen Gag erlaubt und aus dem Hauptthema einen kleinen Song gemacht, der von Craig Copeland gesungen wurde und extra im kratzig-dünnen Schellack-Sound gemischt wurde. Für das Sound-Design war diesmal Tom Myers zuständig, der zusammen mit Randy Thom und Gary Rydstorm zu Pixars Stammbesetzung von Toningenieuren gehört und schon seit Toy Story dabei war. Myers hat eine sehr kreative und aufwendige Klangkulisse geschaffen, die sich nahtlos an die der früheren Pixar-Filme anschließt und mit einer besonderen Natürlichkeit begeistern kann.
Das Abenteuer ist irgendwo da draussen...
Faszinierende Charaktere, beeindruckende Animation, aber ein schwaches Drehbuch - Up ist nicht gerade Pixars Sternstunde und ist besonders nach The Incredibles, Ratatouille und WALL-E ein enttäuschender Film, den zwar von den Massen geliebt wurde, aber bei Genre-Kennern trotz technischer Perfektion einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen hat. Mit einem eiskalt kalkulierten Druck auf die Tränendrüse konnte Pixar viele Kritiker einlullen, die Up ohne zögern zum besten Pixar-Film von allen deklarierten und das Studio unverdient auf einen goldenen Thron setzten. Mit Hilfe einer massiven Werbekampagne konnte Pixar die Academy-Mitglieder außerdem überzeugen, Up für gleich fünf Oscar-Kategorien
zu nominieren, von denen er sicher mindestens einen gewinnen wird.
175 Millionen Dollar Budget und ein weltweites Einspielergebnis von über 700 Millionen Dollar sind zwar ein beachtlicher Erfolg, der Up zum zweiterfolgreichsten Film des Studios gemacht hat, aber Pixars Versuch einen computeranimierten Trickfilm mit künstlerischem Anspruch zu produzieren, ist an der Unflexiblität der Filmemacher gescheitert, die nur eine typisch amerikanische Geschichte hervorgebracht haben. Erzählerisch hat Pixar diesmal auf der ganzen Linie versagt, denn mit dem eigentlich brillianten Konzept von Up hätte man noch eine ganze Menge mehr anfangen können.
Die DVD
Up ist bereits am 10. November in den USA und am 21. Januar in Deutschland als DVD und BluRay erschienen. In den USA gibt es eine Single-DVD, eine Doppel-DVD mit DigitalCopy und ein 4-Disc BluRay-Set - letzteres enthält zwei BluRays, die auch einzeln erhältliche DVD und eine DigitalCopy. In Deutschland ist dagegen nur eine einzige Single-DVD erhältlich, aber dafür gibt es außer der 4-Disc-BluRay auch ein 2-Disc-Set, das nur die BluRay-Discs enthält. Die 3D-Fassung enthält genauso wie bei der Konkurrenz Dreamworks und BlueSky jedoch keine dieser Veröffentlichung, denn die Technik zur 3D-Wiedergabe im Heimkino ist derzeit noch nicht für visuell komplexe Filme wie Up geeignet.
Die hier rezensierte DVD ist die amerikanische DVD aus dem 4-Disc-BluRay-Set, die in identischer Form auch als einzelne Disc erschienen ist. Erfreulicherweise haben Disney und Pixar das wichtigste Bonusmaterial der BluRay auch der DVD-Version gegönnt - tatsächlich wurden sogar alle Extras der ersten BluRay-Disc mit Ausnahme des Picture-in-Picture-Teils des Audiokommentars auch auf die DVD gepackt. Natürlich sind auch Bild- und Tonqualität auf dem besten Niveau, die das DVD-Format bieten kann, so daß man mit dieser Veröffentlichung durchaus zufrieden sein kann.
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