Der Film
Gérard wohnt mit neureichen seinen Eltern in einem
hochtechnisierten und hypermodernen Haus, aber der Schuljunge verbringt
seine Freizeit lieber mit seinem altmodischen und verträumten Onkel
Monsieur Hulot. Die Arpels sind davon überhaupt nicht begeistert,
und Monsieur Arpel, Chef in einer plastikherstellenden Fabrik, will einen
anständigen Job für seinen Neffen finden. Aber so sehr sich
Hulot auch bemüht, mit der modernen Welt kommt er einfach nicht richtig
zurecht...
Mitte der fünfziger Jahre begann das französische und europäische Kino
sich langsam, aber sicher vom zweiten Weltkrieg zu erholen, und ein Regisseur
hatte mit nur zwei Filmen einen unschätzbaren Beitrag dazu geleistet:
Jacques Tati, der mit seinem unverwechselbaren Stil ein ganz neues Genre
geschaffen hatte. Sein erster Langfilm Jour de Fête wurde
in Europa zu einem großen Erfolg und mit Les Vacances de Monsieur
Hulot gelang ihm sogar der Sprung bis nach Amerika. Mit zwei vielbeachteten
und hochgelobten Filmen im Repertoire war es für Tati nicht schwer, die
Finanzierung für ein neues Projekt auf die Beine zu stellen.
Tati No. 3
Während andere Filmemacher schon damals mehrere Filme pro Jahr fabrizierten,
ließ sich Jacques Tati jede Menge Zeit, um sein neues Werk ausführlich
vorzubereiten. Zwischen den Premieren von Jour de Fête und Les Vacances de Monsieur Hulot waren über drei Jahre vergangen,
und bis Tatis neues Projekt den langen Weg bis auf die große Leinwand
zurücklegte, dauerte es fast wieder genauso lange. Zuerst schlicht "Tati
No. 3" genannt, sollte es sein bisher ehrgeizigstes Projekt sein werden
und eine Abkehr von der vorher relativ bescheidenen Art des Filmemachens
bedeuten.
Tatis erster Schritt war eine eigene Firma für die Produktion seines neuen
Films zu gründen. Zwar hatte er mit seinem alten Freund Fred Orain und
der gemeinsamen Cady Films nur gute Erfahrungen gemacht, aber Tati wollte
noch einmal ganz neu beginnen und seinen Film selbst produzieren. Tatsächlich
war Fred Orain aber nach wie vor im Hintergrund als Produzent und Berater
an Tatis neuem Film beteiligt, obwohl er nicht mehr in den Credits genannt
wurde - Tati hatte seinen alten Partner keinesfalls verstoßen, viel mehr
hatten die beiden Filmemacher ihre alte Produktionsfirma gemeinsam aufgelöst.
Finanzielle Unterstützung bekam Specta Films von den zwei französischen
Co-Produzenten Alter Films und Gray-Film sowieso aus Italien von Film
del Centaurio, wobei der Film sogar im Vorspann als französisch-italienische
Co-Produktion bezeichnet wurde.
Nummer 3 wird Mein Onkel
Henri Marquet, der mit Jacques Tati zusammen dessen zwei vorherige Filme
geschrieben hatte, war diesmal nicht mit am Drehbuch beteiligt, aber als
Regie-Assistenz immer noch mit dabei. Tati war zwar ein innovativer Drehbuchautor,
aber ein schlechter Zeichner und konnte deswegen seine Ideen visuell nur
schlecht festhalten. Sein neuer Kollaborateur Jacques Lagrange, der auch
schon an Tatis vorherigem Film mitgearbeitet hatte, war dagegen ein hervorragender
Zeichner und schrieb nicht nur am Drehbuch mit, sondern illustrierte es
auch. Seine ausführlichen Zeichnungen und Storyboards bestimmten das besondere
Aussehen des Films so sehr, daß Lagrange praktisch der inoffizielle Produktionsdesigner
war.
Tati und Lagragne schrieben zusammen ein Drehbuch, das zwar wie bei Tatis
vorherigen Filmen aus einer Sammlung von einzelnen sketchartigen Ideen
war, aber nun auf einer richtigen Geschichte basierte, die aus mehreren,
komplex ineinander verwobenen Plots bestand. Eine wirkliche Hauptrolle
gab es eigentlich nicht, aber der wichtigste Protagonist des Films wurde
wieder Tatis Monsieur Hulot, der seit seinem ersten Auftritt so beliebt
geworden war, daß der Filmemacher ihn mit Vergnügen noch ein weiteres
Mal auftreten ließ. Diesmal war Hulot der titelgebende Onkel des Films
und nicht nur ein anonymer Jedermann, über den man nicht viel, aber immerhin
etwas mehr als bei seinem ersten Auftritt erfährt.
Der eigentliche Plot des Films ist eine Geschichte von zwei Welten – dem
altmodischen, gemütlichen und etwas bröckelnden Nachkriegsfrankreich,
das Tati schon in seinen vorherigen beiden Filmen liebevoll in Szene gesetzt
hat, und der durchgestylten, unpersönlichen und sterilen Moderne. Monsieur
Hulot und sein Neffe Gerard sind die einzigen Charaktere der Geschichte,
die eine Brücke zwischen diesen beiden Welten schlagen, die ansonsten
völlig getrennt nebeneinander existieren und kaum etwas voneinander mitbekommen.
Tati machte diese Parallelität zum Thema und ließ Hulot wie ein Fisch
aus dem Wasser in der fremdem Umgebung agieren, um so jede Menge Gelegenheiten
für komische und auch nachdenkliche Situationen zu schaffen.
Die Rückkehr des Monsieur Hulot
Während Les Vacances de Monsieur Hulot der erste Auftritt von
Tatis Alter Ego war, sind es doch seine Abenteuer in Mon Oncle,
die am besten in Erinnerung bleiben. Tati ließ Hulot noch weiter reifen
und brachte seine Verschrobenheit und Tolpatschigkeit auf die Spitze,
während er ihn gleichzeitig zur einzig wirklich menschlichen Erwachsenen
der Geschichte machte. Mit einer entwaffnenden kindlichen Naivität ausgestattet
kann man Hulot sogar seine größten Mißgeschicke verzeihen, weil er noch
nicht einmal dumm reagiert, sondern mit mehr gesundem Menschenverstand
als seine Mitmenschen.
Genauso wie bei seinen früheren Filmen setzte Tati bei der Besetzung der
weiteren Rollen von Mon Oncle nicht auf Starpower, sondern suchte sich
fast ausschließlich völlig unbekannte Schauspieler und Laiendarsteller
aus, die noch viel lockerer agieren als es bei Profis möglich gewesen
wäre. Am meisten erstaunt der zehn- oder elfjährige Alain Becourt, der
Hulots Neffen mit einer bemerkenswerten Natürlichkeit spielt und einfach
den Eindruck eines ganz normalen Schulkinds macht. Dagegen wirken Adrienne
Servantie und Jean-Pierre Zola als das plastik-perfekte Ehepaar Arpel
und Dominique Marie als ihre überkandidelte Nachbarin auf ihre eigene
Weise ganz realistisch, weil sie ihre Rollen herrlich satirisch auf die
Spitze treiben, ohne dabei lächerlich zu wirken. Der heimliche Hauptdarsteller
des Films ist aber der Dackel der Arpels und seine Spielgefährten, die
Jacques Tati bei den Dreharbeiten sicher mehr Geduld gekostet haben als
seine menschlichen Darsteller.
Gags, Satire und ausgefallene Kulissen
Obwohl Tati seinem neuen Film einen viel deutlich sichtbareren roten Faden
als in seinen früheren Werken verpaßte, legte er immer noch jede Menge
Wert auf die vielen kleinen und großen humorvollen Einlagen und aufwendig
inszenierte visuelle Gags. Angefangen bei Hulots altmodischen Dachwohnung,
die er nur durch ein Labyrinth von Treppenhäusern erreichen kann und damit
ein nur für den Zuschauer sichtbares Fenster-Ballet aufführt, bis zu den
technischen Spielereien im futuristischen Haus der Arpels ließ Tati sich
einiges einfallen und baute in fast jede Szene des Films seine besonderen
Gags ein – mal im Hintergrund, mal im Vordergrund, und mal so unauffällig,
daß man sie erst bei genauerem Hinschauen entdecken kann.
Tati fand sein "altes" Frankreich in Saint-Maur-des-Fossés, einem kleinen
Vorort im Südosten von Paris, der fast völlig unberührt von den modernen
Welt war und ideal für einen großen Teil der Kulissen von Mon Oncle war.
Dort entstanden unter der Mitwirkung von vielen Einheimischen eine Menge
Außenaufnahmen, unter anderem auch von dem wunderbaren Haus mit Hulots
Dachwohnung, das Tati besonders effektiv mit einer Weitwinkel-Linse als
ganzes in Szene setzte. Das ultramoderne Haus der Arpels inklusive durchgestyltem
Garten mit Fisch-Springbrunnen und Garage wurde dagegen in den Studios
de la Victorine in Nizza von Produktionsdesigner Henri Schmitt nach den
detailreichen Konzeptzeichnungen von Jacques Lagragne in Lebensgröße gebaut
- es war eins der aufwendigsten und ungewöhnlichsten Sets der französischen
Kinogeschichte.
Ein Blick durch die Augen des M. Tati
In einer Länge von fast zwei Stunden nahm sich Tati jede Menge Zeit seine
Geschichte ausführlich und in aller Ruhe zu erzählen - einen Stil, den
er schon mit seinen vorherigen beiden Filmen sehr ausführlich eingesetzt
hatte und mit Mon Oncle noch weiter perfektionierte. Tati läßt die Handlung
gemächlich wie einen Bewußtseinsstrom am Zuschauer vorbeiziehen und widmet
oft kleinen, unscheinbaren Details genausoviel Aufmerksamkeit wie der
vordergründigen Handlung. Die Kameraarbeit verzichtet auf grandiose Fahrten
und bewegt sich nur selten - Tatis sorgfältig choreographierten Bildkompositionen
wirken wie lebendig gewordene Fotografien und er läßt den Zuschauer die
Handlung nicht aus unmöglichen Winkeln durch die Linse der Kamera, sondern
durch die Augen eines Beobachters sehen.
Ton und Musik sind bei Mon Oncle wie schon bei Tatis früheren Filmen fest
mit der visuellen Gestaltung verbunden, allerdings spielen die Dialoge
nun eine etwas größere Rolle und sind nicht nur einfache Hintergrundgeräusche.
Musikalisch wandelte Tati auch wieder auf den Pfaden seiner vorherigen
Werke und ließ Mon Oncle wieder von Alain Romains vertonen, der schon
die Musik für Les Vacances de Monsieur Hulot geschrieben hatte und nun
von Franck Barcellini unterstützt wurde. Ihre jazzig angehauchten Themen
und urfranzösisch klingenden Melodien haben enormen Ohrwurmcharakter und
sind wesentlich für die besondere Atmosphäre des Films verantwortlich
Tati goes Eastmancolor
Nach dem Thomsoncolor-Desaster von Jour de Fête, dessen Farbversion er
zu Lebzeiten nie selbst anschauen konnte, hatte Jacques Tati Les Vacances
1952 noch in Schwarzweiß gedreht, weil die Verfügbarkeit von Farbfilm
und die Entwicklungsmöglichkeiten in Frankreich noch zu unsicher waren.
Seitdem hatte sich aber eine Menge getan und Tati konnte nicht nur das
begehrte Eastmancolor-Filmmaterial aus dem Kodak-Werk im englischen Rochester
bekommen, sondern es auch direkt in Frankreich entwickeln lassen – dadurch
bot sich für ihn das erste Mal die realistische Möglichkeit in Farbe zu
drehen. Obwohl auch Frankreich schon seit 1954 mit dem CinePanoramic-Verfahren
von der Breitwand-Revolution überrollt wurde, drehte Tati ganz bewußt
noch im alten 1.37:1-Format.
Viel wichtiger als ein breites Bild war Tati die Möglichkeiten des Farbfilms,
die er eigentlich schon zehn Jahre zuvor mit Jour de Fête ausprobiert
hatte und nun endlich richtig anwenden konnte. Zusammen mit seinem Kameramann
Jean Bourgoin, der schon 1956 seinen ersten Farbfilm in Eastmancolor gedreht
hatte, schuf Tati ausgeklügelte Farbkompositionen, die den starken Kontrast
zwischen der plastikartigen, klinisch reinen modernen Welt und dem lebendigen,
erdigen alten Stadtviertel so deutlich wie nur möglich machten.
My Uncle, oder: Tati goes to Hollywood
Um die Chancen einer internationalen Vermarktung des Films zu erhöhen,
arbeitete Jacques Tati schon bei den Dreharbeiten auf eine englischsprachige
Fassung hin, indem er einige Szenen mit französischen und englischen Schildern
zweimal drehte und einige zusätzliche Sequenzen inszenierte. Genauso wie bei Les Vacances de Monsieur Hulot wurde auch wieder eine englische Sprachfassung erstellt, weil die Dialoge diesmal
noch wichtiger für die Handlung waren als zuvor und Tati unbedingt die
von ihm verhaßten Untertitel vermeiden wollte. Außerdem straffte er die
fast zwei Stunden lange Urfassung für die englische Version um etwa fünf Minuten, wobei aber nicht nur einfach Szenen entfernt, sondern viele durch andere Versionen ersetzt wurden. Dadurch wurde die englischsprachige Fassung, die auch als Basis für die deutsche Version diente, zu einer völlig eigenen Inkarnation des Films.
Im Sommer 1958, wenige Wochen nach der erfolgreichen Premiere von Mon Oncle in Frankreich, reiste Jacques Tati erstmals in die USA, um in Hollywood
Werbung für seinen neuen Film zu machen. Der sonst eher medienscheue Filmemacher
hatte dafür extra Englisch gelernt und absolvierte ein für ihn beeindruckendes
Programm: er trat zweimal in Ed Sullivans Talkshow auf und ließ sich sogar
dazu überreden, für Sports Illustrated eine Fotosession mit seiner Tennis-Akrobatik
zu machen. Im Frühjahr 1959 kehrte Tati dann noch einmal nach Hollywood
zurück um die Academy Awards zu besuchen – Mon Oncle war für den Oscar
als bester fremdsprachiger Film nominiert und konnte sich erfolgreich gegen die Konkurrenz
aus Deutschland, Jugoslavien, Spanien und Italien durchsetzten.
Ein Onkel mit Erfolg
Überhäuft mit vielen europäischen Filmpreisen – Mon Oncle hatte bereits
im Mai 1958 in Cannes den Spezialpreis der Jury gewonnen – standen Jacques
Tati nach seinem Oscargewinn in Hollywood Tür und Tor offen. Warner machte
ihm ein verlockendes Angebot, einen Film in Hollywood zusammen mit Sophia
Loren zu drehen, der den Titel Mr. Hulot Goes West tragen sollte – allerdings
verlief diese Idee im Sand, obwohl es nicht an Jacques Tatis Interesse
mangelte. Immerhin konnte Tati sich einen alten Traum erfüllen und stattete
seinen Stummfilm-Idolen Stan Laurel, Buster Keaton, Harold Lloyd und Mack
Sennett ausführliche Besuche in Hollywood ab.
Mit Mon Oncle hatte Tati sein lang ersehntes Meisterwerk geschaffen und
war zum ersten Mal voll und ganz zufrieden mit seinem Werk, wie er in
vielen Interviews aus dieser Zeit gerne erzählte. Tatsächlich ist im Laufe
der Zeit Mon Oncle zum größten Klassiker seiner Filme geworden, was aber
hauptsächlich daran lag, daß es Tatis größter und von den Kritikern am
meisten beachteter Erfolg war. Weder sein Mammutwerk Playtime, an dem
er fast ein halbes Jahrzehnt arbeitete und ihn finanziell ruiniert hatte,
noch sein letzter Auftritt als Monsieur Hulot in seinem letzten Kinofilm
Trafic konnten an den Erfolg von Mon Oncle anknüpfen, auch wenn seine
weiteren Filme von den Kritikern später, aber noch zu seinen Lebzeiten gebührende Anerkennung erhielten.
Auch fast fünfzig Jahre nach seiner Entstehung ist Mon Oncle heute immer
noch aktuell – Tatis Satire der modernen Welt und der wehmütige Blick
auf die vergangene Zeiten wirken kaum gealtert und halten heute der Realität
immer noch genauso einen Spiegel vor die Nase wie 1958.
Die DVD
Mon Oncle war schon 2001 zusammen mit Les Vacances
de Monsieur Hulot und Playtime von Criterion in den USA veröffentlicht worden,
aber wegen abgelaufenen Rechten bis 2004 nicht mehr im Handel. Erst im Jahr darauf war Mon Oncle als DVD auch in einigen europäischen Ländern erschienen, unter anderem auch in Deutschland, wo es sogar die englische Fassung dazu gab. Alle Veröffentlichungen gingen aber auf ein ähnliches Bildmaster wie die Criterion-Ausgabe zurück, das noch lange vor der Ende 2004 in Frankreich durchgeführten Restauration entstanden war. Erst 2012 hatte das British Film Institute das erste Mal die neue Restauration von Mon Oncle sowohl in der französischen Langfassung als auch in der alternativen englischsprachigen Version als DVD und Blu-Ray veröffentlicht.
Die in diesem Artikel rezensierte Disc ist die DVD aus der vom BFI im Herbst 2012 veröffentlichten Dual-Format-Edition von Mon Oncle, die auch eine Blu-Ray enthält. Beide Formate sind gleich ausgestattet und enthalten beide Filmfassungen, lediglich der Trailer als einziges Extra ist nur auf der DVD vorhanden. Obwohl das BFI es gewagt hat, beide Versionen des Films auf nur eine DVD zu quetschen, ist die Bildqualität hervorragend und eine riesige Verbesserung gegenüber den früheren Transfern. Die neue BFI-Ausgabe von Mon Oncle stellt trotz der abgesehen vom Booklet nicht vorhandenen Extras alleine durch die beeindruckende Bildqualität alle anderen Ausgaben in den Schatten.
|
|
Bild
Aus dem Booklet geht nicht genau hervor, ob das BFI die neuen Transfer von Mon Oncle selbst durchgeführt hat oder ob diese in Frankreich gemacht wurden, aber es wird ein 2K-Scan von Interpositiven und eine digitale Restauration erwähnt, die bei Deluxe Digital in London durchgeführt wurde. Es wurden sowohl die längere französische Urfassung als auch die kürzere englischsprachige Version gleichermaßen aufwendig bearbeitet. Beide Fassungen haben eine ähnlich gute Bildqualität, weisen aber kleine Unterschiede auf, da sie von ganz verschiedenen Filmelementen abgetastet wurden. Das Ergebnis ist beeindruckend und gegenüber den früheren DVDs wirkt Mon Oncle nun wie ein ganz neuer Film, wie in dem Vergleich zwischen der alten Criterion-Ausgabe und den beiden neu abgetasteten Fassungen sichtbar ist.
Die französische Fassung mit einer Laufzeit von 110 Minuten bei 25fps (entspricht 116 bei 24fps) beeindruckt mit einem sehr lebendig und organisch aussehendem Bild. Die Filmvorlage wurde im Gegensatz zur alten Criterion-DVD von praktisch allen Kratzern, Verschmutzungen und anderen Störungen befreit - es sind nur noch ganz selten ein paar vereinzelte dunkle Fussel sichtbar, aber die vielen weiß aufblitzenden Dropouts des früheren Transfers wurden alle entfernt. Völlig in Ruhe gelassen wurde allerdings die Filmkörnigkeit, die relativ deutlich sichtbar ist, aber damit dem Film eine ganz natürliche und lebendige Textur gibt. Auf den ersten Blick wirkt das Bild etwas unschärfer als bei den früheren Versionen, was aber hauptsächlich daran liegt, daß hier nicht nachgeschärft wurde - die Detailtreue ist trotzdem sehr gut und kann sich für einen Film vom Ende der fünfziger Jahre sehr gut behaupten. Der Bildstand ist bemerkenswert ruhig, ein Rucken nach jedem Schnitt wie auf der Criterion-DVD ist hier überhaupt nicht zu sehen. Die Farben sind deutlich gedämpfter und nicht mehr ganz so grell wie bei den früheren Abtastungen, wirken aber dadurch nur noch natürlicher und entsprechen viel mehr der typischen Eastmancolor-Farbpalette der fünfziger Jahre. Der größte Unterschied zum Criterion-Transfer ist aber der viel größere Bildausschnitt, der viel mehr vom Original-Negativ zeigt.
Die englische Fassung ist bei 25fps 104 Minuten lang (109 Minuten bei 24fps) und sieht ähnlich hervorragend wie die französische Version aus, hat aber einige kleine Unterschiede. Das Farbtiming ist stellenweise leicht anders, hat aber insgesamt die gleiche gedämpfte Farbpalette wie die französische Fassung. Die Schärfe ist auf dem gleichen Niveau und die Filmvorlage ebenfalls sehr sauber, aber erstaunlicherweise ist die Filmkörnigkeit viel weniger deutlich sichtbar. Dies scheint allerdings mehr an der eingesetzten Filmvorlage als an der Nachbearbeitung zu liegen, denn ein übereifriger Rauschfilter war hier nicht im Einsatz. Das Framing ist nicht ganz identisch zur französischen Version, zeigt aber auch einen erheblich größeren Ausschnitt als die Criterion-Version. Durch die geringere Körnigkeit macht diese Version des Films einen anderen Eindruck als die französische Fassung, aber man kann nicht behaupten, daß eine davon besser oder schlechter aussieht.
Das Authoring ist bei beiden Versionen hervorragend gelungen, obwohl das Bild mit einer Bitrate von gerade einmal durchschnittlich 4.5 mbit/s auskommen muß, da sich beide Filmversionen mit insgesamt 215 Minuten nur eine doppellagige DVD teilen müssen. Kompressionsartefakte sind kaum sichtbar und haben vor allem die Filmkörnigkeit nicht beeinträchtigt. Während eine Aufteilung auf zwei Discs sicher wünschenswert gewesen wäre, kann man dem BFI genauso wie bei Jour de Fête und Les Vacances de Monsieur Hulot nicht vorwerfen, die wundervollen Restaurationen mit einer schlechten Kompression zunichte gemacht zu haben. So gut hat Mon Oncle noch nie ausgesehen und abgesehen von der Blu-Ray mit den identischen Transfern in High-Definition dürfte es den Film in keiner besseren Bildqualität geben.
|