Der Film
Durch Zufall beobachtet Miss Marple in einem an ihrem Abteilfenster vorbeifahrenden Zug, wie eine Frau erwürgt wird. Als die Polizei ihr keinen Glauben schenkt, nimmt die rüstige Miss Marple zusammen mit ihrem Bekannten Mr. Stringer die Sache selbst in die Hand und findet nach einer unauthorisierten Bahnstreckenbegehung heraus, daß die Leiche vermutlich vor dem Grundstück der Familie Ackenthorpe aus dem Zug geworfen und dort verschwunden ist. Um den Ereignissen auf den Grund zu gehen, bewirbt sie sich als Haushälterin bei den Ackenthorphes und findet beim Herumschnüffeln auf dem Anwesen schnell die vermißte Tote...
Als Ende der fünfziger Jahre MGM für drei Millionen Dollar die Film- und
Fernsehrechte an Agatha Christie's Kriminalromanen erwarb, wusste das
Studio zuerst nichts damit anzufangen. Der ursprüngliche Plan zweier Fernsehserien
rund um Miss Marple und Hercule Poirot wurde nie realisiert, aber dann
entwickelte sich die Idee einer Reihe von Kinofilmen, die ab 1961 in die
Tat umgesetzt wurde. Trotz der großen Popularität der Romane war dies
tatsächlich der erste Versuch einer Verfilmung - und das, obwohl die beiden
ungewöhnlichen Detektive schon fast dreißig Jahre in Buchform existierten.
Unter der Schirmherrschaft der MGM British Studios entstand so Anfang
der sechziger Jahre die erste Verfilmung eines Miss-Marple-Romans von
Agatha Christe. Als Vorlage für den ersten Film diente 4.50 from Paddington,
für deren Umsetzung sich die Drehbuchautoren David Osborn, David Pursall
und Jack Seddon einige Freiheiten herausnahmen. Dies war hauptsächlich
aufgrund der Wahl der Hauptdarstellerin nötig, denn Margaret Rutherford
entsprach allerhöchstens ansatzweise der Idee von Miss Marple aus der
Romanvorlage.
Während in der Originalgeschichte der Mord im Zug nur von einer Freundin
von Miss Marple beobachtet wird und sie selbst nur passiv an der Handlung
teilnimmt, wurde für den Film die alternde Hobbydetektivin in den Vordergrund
gerückt. Auch ähnelte Margaret Rutherford gar nicht der ursprünglichen
Beschreibung der kleinen, zerbrechlichen alten Dame mit dem detektivischem
Sinn, wovon Agatha Christie überhaupt nicht begeistert war.
Trotzdem sah die Autorin davon ab die Verfilmungen zu stoppen und wurde
sogar zu einer guten Freundin der Schauspielerin. Ursprünglich wollte
Margaret Rutherford gar nichts mit der Rolle zu tun haben, weil sie Mord
und Gewalt verabscheute - aber Regisseur George Pollock konnte sie umstimmen,
indem er folgerichtig erklärte, daß Miss Marple mehr an der Lösung eines
Problems interessiert sei als am eigentlichen Verbrechen.
4.50 from Paddington wurde für die Verfilmung in Murder She
Said umbenannt, den amerikanischen Alternativtitel des Romans. Unter
der Regie von George Pollock spielte mit Margaret Rutherford eine Riege
von britischen Charakterschauspielern, die auch die wichtigen Nebenrollen
nicht in Bedeutungslosigkeit abdriften lassen. Auch in der Besetzung und
der Story wurden einige Anpassungen gegenüber der dunklen, bedrohlichen
Romanvorlage gemacht: zum Beispiel wurde Miss Marple mit dem Bibliothekar
Mr. Stringer ein "Sidekick" dazugeschrieben, der von Margaret Ruhtherfords
Ehemann Stringer Davis gespielt wurde.
Dies gab natürlich dem sonst recht ernsten Plot einige Gelegenheiten zu
einigem wohldosiertem, typisch britischem Humor - ein Element mit der
Margaret Rutherfords Miss Marple hauptsächlich berühmt wurde. Allerdings
wurde damit aber relativ vorsichtig umgegangen, denn sonst wären Miss
Marple und Mr. Stringer schnell zu Witzfiguren geworden. Dank der souveränen
Darstellungen der beiden Schauspieler stellt sich dieses Problem erst
gar nicht.
Die Story des Films wurde spannend umgesetzt, obwohl die Buchvorlage natürlich
recht stark zusammengestrichen wurde. Die grundlegende Geschichte blieb
aber intakt und damit auch der Spannungsbogen, der nie Langeweile aufkommen
läßt, auch wenn man die Auflösung schon längst kennt. Ohne großen Aufwand
in Schwarzweiß in Szene inszeniert gelingt es dem Film die Stimmung eines
fast zeitlosen englischen Vorstadtlebens effektvoll einzufangen, das irgendwann
zwischen 1930 und 1960 stattgefunden haben könnte. Die Kulisse spielt
aber hier nur einen nebensächliche Rolle, denn der Film lebt fast ausschließlich
von den Schauspielern.
Ein nicht zu unterschätzender Beitrag macht allerdings auch Ron Goodwins
ohrwurmverdächtige Filmmusik, die zusammen mit Margaret Rutherford einzigartiger
Darbietung zu einem Markenzeichen der Miss Marple-Filme wurde. Zufällig
wurden sogar für zukünftige Verfilmungen die Weichen gestellt: Joan Hickson,
die hier in einer kleinen Nebenrolle zu sehen ist, sollte dreißig Jahre
später die Hauptrolle in einer werkgetreuen Verfilmung der BBC von allen
zwölf Miss Marple-Romanen spielen.
Murder She Said wurde nicht nur in England, sondern in ganz Europa
und auch in Amerika zu einem Überraschungserfolg, der noch drei Fortsetzungen
mit sich brachte und schon bald zum Klassiker wurde. In Deutschland bekam
der Film den Titel der Romanübersetzung 16.50 ab Paddington und
wurde bemerkenswert gut synchronisiert - heute sind der Film und seine
Nachfolger Dauerbrenner im Fernsehen und werden sogar noch in manchen
Programmkinos gezeigt. Ein Krimiklassiker, wie er im Buch steht.
Die DVD
Trotz des großen Bekanntheitsgrades der Miss Marple-Filme
hatte sich Warner Home Video als Rechteinhaber lange Zeit nicht zu einer
DVD-Veröffentlichung hinreißen lassen, aber überraschenderweise kam dann
in Deutschland doch eine Veröffentlichung aller vier Filme im Dezember
2003. Der schnellen Ankündigung folgten lange Diskussionen über das Bildformat,
da bei vielen Händlern die Filme als 1.33:1 gelistet waren - was sich
bis auf den letzten Film leider als korrekt herausgestellt hatte.
Statt ordentliche neue Transfer zu verwenden, hat Warner einfach alte
Videomaster verwendet, deren Bildformat nicht ganz korrekt war- aber dennoch
ist die Qualität noch etwas besser als jede Fernsehausstrahlung oder Videokassette.
Bonusmaterial gibt es überhaupt keins, aber dafür bekommt man auf diesen
DVDs die gleichermaßen hörenswerten englischen und deutschen Fassungen
gleichzeitig geboten.
Als Ersatz für alte TV-Aufnahmen und Videokassetten sind diese DVDs auf
jeden Fall gut zu gebrauchen und bei einem Preis von weniger als neun
Euro pro DVD zusammen im Boxset kann man da schon einmal alle fünfe gerade
sein lassen und nicht so genau hinschauen. Letztendlich bleibt aber ein
bitterer Nachgeschmack, daß sich ausgerechnet ein Major-Studio wie Warner
zu so einer übereilten Veröffentlichung mit recycelten Transfern hinreißen
lassen hat.
Wie man es richtig macht, hat Warner USA im März 2006 gezeigt, als die
Filme erstmals in Region 1 erschienen – obwohl sie auch hier in 1.33:1
angekündigt waren, stellte sich heraus daß Warner doch endlich neue restaurierte
Transfer in anamorphem 1.78:1 gemacht hatte, die gegenüber den alten europäischen
DVDs eine enorme Verbesserung waren. Ob und wann es Neuauflagen der Region
2-DVDs der Miss-Marple-Filme geben wird, ist leider nicht bekannt, wäre
aber nur fair gegenüber denen, die mit ihrem Kauf der alten DVDs Warner
gezeigt haben, wie populär die Filme wirklich sind.
Weitere Reviews:
RC1: Murder She Said | Murder
at the Gallop | Murder Most Foul |
Murder Ahoy
RC2: Murder She Said | Murder
at the Gallop | Murder Most Foul |
Murder Ahoy
Vergleiche: Murder She Said |
Murder at the Gallop | Murder
Most Foul | Murder Ahoy
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Bild
Leider hat Warner keinerlei Restaurationsversuche unternommen
und hat sich sogar davor gedrückt, einen neuen Transfer anzufertigen.
Verwendet wurde für diese DVD ein um 1995 von Turner hergestellter
Transfer, der zu dieser Zeit öfter beim englischen Spielfilmsender
TNT zu sehen war. Das exakte Bildformat ist nicht mehr genau bestimmbar,
aber der Film wurde in 35mm auf einem 1.37.1-Negativ gedreht, das allerdings
in manchen Szenen unregelmäßig schon in der Kamera gemattet
wurde, wie man es in den von der ARD im Dezember 2003 wieder ausgestrahlten
Transfern sehen konnte. Der Turner-Transfer ist leider nicht komplett
Open-Matte, sondern wurde mehr oder weniger stark aufgezoomt, um die unregelmäßigen
Balken zu eliminieren - der Vergleich
mit dem neuen Transfer der amerikanischen DVDs zeigt, daß tatsächlich
eine Menge Bild an den Seiten fehlt.
Das größte Problem des Transfers ist allerdings nicht das Bildformat,
sondern die Tatsache, daß kaum etwas nachbearbeitet wurde. Im Klartext
heißt das, daß man alle möglichen Arten von Filmartefakten
zu sehen bekommt: von oberflächlichen Laufstreifen über kleinere
punktuelle Kratzer und Fussel bis zu regelmäßigen Aktwechselmarkierungen
gibt es hier praktisch alles zu sehen. Fairerweise muß man sagen,
daß hier schon eine Art Reinigung stattgefunden haben muß,
denn wenn man diesen Transfer mit der deutschen TV-Ausstrahlung vergleicht,
ist das Bild geradezu sauber. Außerdem treten die Verschmutzungen
nur um die deutlich sichtbaren Aktwechsel herum gehäuft auf und fallen
sonst nur bei genauer Betrachtung auf.
Überraschen tut dagegen die Schärfe, die auf einem erstaunlich
guten Niveau ist und zwar keine Rekorde bricht, aber die Detailtreue nicht
bemerkbar einschränkt - für einen alten Transfer, der zudem
auch noch leicht aufgezoomt wurde, ist das schon eine ganze Menge. Die
Körnigkeit des Filmmaterials wurde offenbar durch einen leichten
Rauschfilter bearbeitet, ist aber hier und da immer noch in Form eines
unauffälligen Restrauschens sichtbar. Kontrast und Helligkeit sind
auch sehr gut ausbalanciert und lassen hier nicht nur blankes Schwarzweiß,
sondern die gesamte Palette von Grautönen erkennen.
Generell läßt sich sagen, daß diese DVD nicht so schlecht
aussieht wie es zu befürchten war, allerdings bleibt das Bildformat
und die nicht bearbeitete Verschmutzung des Transfers sehr problematisch.
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